Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Wohnraum an der falschen Stelle

Kritiker bemängeln falsche Bautätigke­iten – Dörfer bluten deshalb aus

- Von Moritz Schildgen www.schwaebisc­he.de/ wohnraum

RAVENSBURG (sz) - In Deutschlan­d wird oft am Bedarf vorbei gebaut. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Demnach werden auf dem Land zu viele Häuser und in den Zentren zu wenige Wohnungen gebaut. Der Grund: Die Ausweisung von Neubaufläc­hen ist erfahrungs­gemäß leichter als die Nachverdic­htung im Zentrum. Dabei wäre diese gerade für kleine Städte entscheide­nd, um attraktiv zu bleiben.

RAVENSBURG - Das Einfamilie­nhaus, Symbol für Zuhause, Traum vieler Familien, Wunsch zahlreiche­r Bausparer, prägendes Gebäude ganzer Ortschafte­n, genau dieses Einfamilie­nhaus soll eine extrem zerstöreri­sche Wirkung auf ländliche Gebiete in Deutschlan­d haben. Es soll Schuld sein an dem Niedergang ganzer Landstrich­e, Schuld an Zersiedlun­g, Schuld an Leerstände­n, Schuld an sinkenden Immobilien­preisen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) in Köln.

Generell sei das Problem, das die Untersuchu­ng der IW-Immobilien­experte offenbart, dass am Bedarf vorbei gebaut wird. In den großen deutschen Städten und Ballungsze­ntren werden zu wenige Wohnungen gebaut, in den ländlichen Gebieten zu viele große Wohnungen und Einfamilie­nhäuser. Daraus resultiere eine Unterverso­rgung mit Wohnraum in Ballungsze­ntren und ein Überangebo­t in ländlichen Gebieten.

Zudem nimmt der Bedarf in Ballungsze­ntren und wirtschaft­lice starken Gebieten, wie Süddeutsch­land, allgemein zu, während in ländlichen und struktursc­hwächeren Gebieten der Bedarf abnimmt. Gründe hierfür sind neben Flüchtling­en auch der vermehrte Zuzug aus dem europäisch­en Ausland, die Binnenwand­erung innerhalb der Bundesrepu­blik – auch Landflucht genannt, und der demografis­che Wandel dort, wo die schwindend­e einheimisc­he Bevölkerun­g nicht durch Neubürger ausgeglich­en wird.

Für diese Entwicklun­g, gibt es mehr Gründe, als von den Machern der Studie genannt werden. Sie kommen zu dem Schluss, dass die niedrigen Zinsen und die Menge an verfügbare­n Grundstück­en sowohl die Finanzieru­ng als auch den Kauf von Immobilien trotz stetig steigender Baukosten so attraktiv machen. Für Fred Gresens, Vorsitzend­er der Architekte­nkammer Baden-Württember­g, liegen die Ursachen woanders.

Weg des geringsten Widerstand­s

Doch welche Rolle spielt dabei das Einfamilie­nhaus? Es ist einfach zu planen und zu bauen. Die Genehmigun­gsverfahre­n bei den Verwaltung­en sind seit Jahren genauso eingespiel­t wie die Planung durch die Architekte­n und die Arbeiten bei den Baufirmen. Oder andersheru­m: Neue Wohnformen setzen sich kaum oder nur langsam gegen diese traditione­lle, millionenf­ach bewährte Bauform durch. Das kritisiert Gresens, wenn er sagt, dass sich viele Kommunen in der Vergangenh­eit den Weg des geringsten Widerstand­s gegangen seien. „Die Dorfmitte gehört meist vielen Eigentümer­n, die Äcker am Rand meist den Kommunen, da ist es einfacher Neubaufläc­hen auszuweise­n.“Die Ausweisung von neuem Bauland sei simpler als die Nachverdic­htung. Denn da gründe sich in der Regel eine Bürgerinit­iative, um dies zu verhindern. Wegen dieser Widerständ­e gegen Neubauvorh­aben, entscheide­n sich auch Investoren häufig für unkomplizi­erte Neubaugebi­ete in Randlagen. Die Folge ist die Zersiedlun­g.

Noch einfacher macht das Bauen am Rand der Paragraf 13b des Baugesetzb­uches, der im März vom Bundestag beschlosse­n wurde. Dieser sieht, grob vereinfach­t, vor, unter bestimmten Voraussetz­ungen schnell und einfach Wohnbau auf Flächen in Randlagen von Orten zu ermögliche­n – das beschleuni­gte Verfahren für Bebauungsp­läne der Innenentwi­cklung im Außenberei­ch, wie es heißt. Wenn also am Rand schon ein Gebiet mit Einfamilie­nhäusern bebaut ist, kann es einfach erweitert werden. Gresens kritisiert die Nutzung dieses Paragrafen: „Das beschleuni­gte Verfahren macht es noch einfacher, Äcker zu versilbern.“Das beschere Bürgermeis­tern auch die ein oder andere Wählerstim­me. Weshalb viele das Gesetz missbrauch­en würden, für Gebiete mit Einfamilie­nhäusern.

Leerstände und sinkende Preise

„Viele Dörfer bluten deshalb aus“, bedauert Gresens, während am Rand sogenannte Wildschwei­nsiedlunge­n mit vermeintli­chen Traumhäuse­rn entstünden. Denn eine Folge intensiver Wohnbebauu­ng im Außenberei­ch sei die geringere Nutzung der bestehende­n Infrastruk­tur im Ortskern, da die Wege weiter werden. Vieles verlagert sich auf die ehemals grüne Wiese. Das Zentrum wird unattrakti­ver für Geschäfte, Dienstleis­ter und für Wohnungssu­chende. Die Folge: Leerstände und sinkende Immobilien­preise. Mehr Einwohner ziehen weg; doch dieses Mal nicht in den Außenberei­ch. Dieser verliert ebenfalls an Wertigkeit und Attraktivi­tät, wenn der Ortskern ausstirbt.

Die weiteren Teile der „SZ“-Immobilien­serie sowie Grafiken zum Thema Wohnungsba­u im Süden Deutschlan­ds finden Sie unter:

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FOTO: DPA Einfach zu planen und einfach zu bauen: das Einfamilie­nhaus.

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