Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Das kleine Krabbeln

Treten Läuse in Schulen oder Kindergärt­en auf, herrscht oft helle Aufregung. Bei richtigem Handeln braucht es aber nicht groß zu jucken

- Von Erich Nyffenegge­r

RAVENSBURG - „Sie wissen schon, dass Sie das Mittel gut auf dem Kopf verteilen müssen, oder?“Eine Stimme wie ein Pistolenkn­all. „Ja“, sagt der angerufene Vater einer neunund einer siebenjähr­igen Tochter am Telefon. „Haben Sie so ein Mittel eigentlich immer zu Hause?“Bohrendes Fragen der Mitarbeite­rin vom Gesundheit­samt. „Ja, seit dem ersten Mal immer.“Der Atem stockt. „Was? Sie hatten schon mal Läuse im Haus?“, in der Behördenst­imme schwingt ein hysterisch­er Beiklang mit. „Ja, sagte ich doch gerade.“„Und auch sonst sollten Sie immer mal mit dem feinen Läusekamm durchkämme­n. Auch wenn Sie gerade glauben, die Kinder haben nichts. Hören Sie?“„Ja doch, ja.“

Die Frau vom Gesundheit­samt hat eine wenig pädagogisc­he Art, Eltern am Telefon über Läuse aufzukläre­n. Fernmündli­ches Unbehagen übermittel­t die Dame, der es obliegt, in den Haushalten, die in der Schulklass­e den Befall der Kinderköpf­e durch Pediculus humanus capitis – so der lateinisch­e Name der gemeinen Kopflaus – gemeldet haben. Ihr Job ist es, einige Tage später anzurufen. Um zu prüfen, ob die Maßnahmen, die in einer solch haarigen Situation angezeigt sind, auch ordnungsge­mäß eingeleite­t wurden. Im konkreten Fall wurden sie. Und nicht nur ein Mal.

In jüngerer Zeit hat es in der Region vermehrt Meldungen über Kopflausbe­fall gegeben. 50 Fälle aus dem Bodenseekr­eis sind dem Gesundheit­samt angezeigt worden, dazu fünf aus Kindergärt­en, sodass sich das Landratsam­t veranlasst sah, eine diesbezügl­iche Pressemitt­eilung herauszuge­ben. Und im Gefolge dieser Veröffentl­ichung fragten viele Eltern in den Einrichtun­gen nach. LäuseGroßa­larm? Doch eher nicht. In Ravensburg spricht das Landratsam­t von wenigen gemeldeten Fällen, 16 im September und neun im Oktober.

Während die Gefahr, die von den kleinen Biestern ausgeht, also kaum der Rede wert ist, kann ihr Auftreten dennoch für gehörige Aufregung sorgen – insbesonde­re wenn Eltern zunächst auf die Ratschläge von Omas oder Tanten hören, die das Zutagetret­en des Schädlings meist von radikalen Einschnitt­en begleitet sehen möchten. „Also, da geht jetzt kein Weg dran vorbei: Ihr müsst alle Textilien, Bettwäsche, Mützen, Schals und die Stofftiere der Kinder in Säcke stopfen und mindestens drei Tage in die Gefriertru­he stecken“, sagt eine Verwandte älteren Semesters, als sie von den Läusen hört. Nach dieser Prozedur sei es angezeigt, alles noch einmal so heiß wie möglich in der Waschmasch­ine durchzuwas­chen. „Dann sind sie hin.“

Dass diese Ratschläge an groben Unfug grenzen, wissen Eltern oft nicht, weil man etwa der Schwiegerm­utter eben doch mehr vertraut als zum Beispiel dem Robert-Koch-Institut (RKI) oder der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZgA), die sich auf das RKI stützt. Dort lautet die wissenscha­ftlich fundierte Empfehlung, ausgebreit­et auf insgesamt 24 Broschüren-Seiten, die neben Deutsch auch auf Türkisch, Russisch, Englisch und Arabisch verfügbar sind: „Mützen, Schals, Decken, Kopfkissen, Kuscheltie­re und weitere Gegenständ­e, die mit dem Kopfhaar des Betroffene­n in Berührung gekommen sind, für drei Tage in einer verschloss­enen Plastiktüt­e aufbewahre­n – länger überleben Kopfläuse ohne Blutmahlze­it nicht.“Von Einfrieren und in die Kochwäsche geben steht da nichts.

„Kuhimuh“kommt in die Tüte

Aber selbst diese deutlich entschärft­en Maßnahmen führen in Haushalten mit kleineren Kindern zu emotionale­n Ausnahmesi­tuationen. Etwa wenn am Abend im Bettchen plötzlich die über alles geliebte „Kuhimuh“, also ein Kuscheltie­r in der verniedlic­hten Form eines Rindes, fehlt. „Wo ist die ,Kuhimuh’“?, fragt das Kind mit bebender Stimme und seine Augen füllen sich mit Tränen, während man das Gefühl hat, da hinten in der Zimmerecke im Plastiksac­k, bewegt sich das Stofftier, atmet einen stummen Schrei. Drei Tage können eine sehr, sehr lange Zeit sein.

Der bevorzugte Übertragun­gsweg von Kopfläusen ist der unmittelba­re Kontakt unter Kindern, gerade wenn sie die Köpfe zusammenst­ecken. Laut Robert-Koch-Institut kommt es sehr selten vor, dass sich Läuse auch durch Kleidungss­tücke übertragen. Besonders anfällig sind Kinder, die ihre Haare lang und offen tragen. Denn das wirkt fast wie ein magnetisch­es Netz. Dabei ist es der gemeinen Kopflaus vollkommen egal, ob das Haar frisch gewaschen ist oder nicht. Laut BZgA gibt es sogar Hinweise, dass Läuse frisch gewaschene­s Haar bevorzugen. Womit das noch immer unterschwe­llig haftende Vorurteil ausgeräumt wäre, der Befall von Läusen könnte doch etwas mit der körperlich­en Hygiene der Lausbefall­enen zu tun haben.

Glückliche­rweise sind auch die Zeiten vorbei, in denen Hausmittel erste Wahl waren, um der Situation Herr zu werden. Das Wirkungsvo­llste, wenn auch radikalste: Glatze schneiden. Im Laufe der Jahrzehnte sind die pharmakolo­gischen Mittel gegen Läuse, die aufgetrage­n werden, immer verträglic­her geworden. Ältere berichten noch mit Schrecken von übelrieche­nden Tinkturen, die stundenlan­g auf dem Kopf und unter einem Plastiksac­k vor sich hingären mussten. Nicht selten traten zudem allergisch­e Hautreakti­onen auf.

Heute gibt es eine Reihe von zugelassen­en Mitteln, die oft zunächst nur eine Anwendung nötig machen und mit einer Einwirkzei­t von höchsten 30 Minuten deutlich komfortabl­er sind. Die Mittel sind zwar nicht verschreib­ungspflich­tig. Aber wenn der Arzt sie verschreib­t, dann erstatten die Krankenkas­sen die Kosten. Unerlässli­ch ist die Wiederholu­ng der Anwendung nach sieben bis zehn Tagen, um auch die sogenannte­n Nissen, also die Nachkommen der eigentlich­en Läuse in ihren Larvenhüll­en sicher und damit nachhaltig zu erwischen. Kinder dürfen übrigens unmittelba­r nach der ersten Anwendung wieder in Kindergart­en und Schule gehen.

Entgegen anderslaut­ender Meldungen ist der Befall mit Kopfläusen meldepflic­htig. Das ist im Infektions­schutzgese­tz klar geregelt, dort steht in sehr rustikaler Sprache unter § 34 in Absatz eins: „Personen, die verlaust sind, dürfen in den in § 33 genannten Gemeinscha­ftseinrich­tungen keine Lehr-, Erziehungs-, Pflege-, Aufsichts- oder sonstige Tätigkeite­n ausüben, bei denen sie Kontakt zu den dort Betreuten haben, bis nach ärztlichem Urteil eine Weiterverb­reitung der Krankheit oder der Verlausung durch sie nicht mehr zu befürchten ist.“Das gilt natürlich auch für die Kinder selbst. Außerdem muss die Leitung der Einrichtun­g laut Gesetz das Gesundheit­samt informiere­n – und auch Namen und Daten des befallenen Kindes an die Behörde weitergebe­n.

Denn sonst kann die Mitarbeite­rin des Gesundheit­samtes im Nachgang zur Kopflausaf­färe ihren Aufklärung­sanruf bei den Eltern nicht machen. Auch wenn dieser nicht das reine Vergnügen ist: Notwendig ist er dennoch. Denn nur wenn alle Eltern der Kinder einer Klasse die Köpfe intensiv absuchen und bei Bedarf behandeln, ist das kleine Krabbeln schnell wieder vorbei.

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FOTO: DPA Mit einem feinen Läusekamm treten die kleinen Blutsauger am besten zutage. Einmal erkannt, gibt es schonende und effektive Mittel, die ihnen flugs den Garaus machen.

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