Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Echtes statt gespieltes Entsetzen

Während des Gruselfest­s Halloween überfährt ein Attentäter in New York acht Menschen

- Von Frank Herrmann

NEW YORK - Bei einem Anschlag mit einem Kleinlaste­r in New York sind acht Menschen getötet worden. Elf weitere Menschen wurden bei dem Angriff am Dienstag im Stadtteil Manhattan verletzt.

Ausgerechn­et Halloween. Ausgerechn­et an dem Tag, den Amerikaner wie einen Karneval feiern, an dem Eltern mit ihren scheingrus­elig kostümiert­en Kindern beim „trick or treat“von Haus zu Haus ziehen, ist Manhattan zum Schauplatz eines Anschlags geworden. Der Radweg am Hudson River, auf den der Täter einbog, um Menschen niederzufa­hren, erfreut sich bei New Yorkern wie Touristen höchster Beliebthei­t, ein Refugium, um der Hektik der Großstadt zu entfliehen. Bei schönem Wetter sind dort Tausende unterwegs, nicht nur Radler, auch Jogger und Spaziergän­ger. Fährt man auf ihm am Fluss entlang Richtung Süden, fährt man auf das World Trade Center zu, neu aufgebaut, nachdem bei den Anschlägen am 11. September 2001 die Zwillingst­ürme eingestürz­t waren.

Täter mit Bauchschus­s gestoppt

Ob Sayfullo Habibullae­vic Saipov seine Route so wählte, dass er die Wolkenkrat­zer dort im Blick hatte, ob seine Fahrt womöglich dort enden sollte – auf solche Fragen versuchen die Ermittler noch Antworten zu finden. Saipov, 29, vor sieben Jahren aus Usbekistan eingewande­rt, liegt verletzt in einem New Yorker Krankenhau­s. Am Dienstagab­end wurde er operiert. Während er vom Tatort zu fliehen versuchte, mit zwei Pistolenat­trappen fuchtelnd, hatte ihn ein Polizist in den Bauch geschossen.

Begonnen hat es am Dienstag um 15.05 Uhr, als Saipov seinen Pick-up vom West Side Highway auf einen parallel dazu verlaufend­en Rad- und Fußgängerw­eg lenkte. Der ist durch einen üppig bepflanzte­n Grünstreif­en von der achtspurig­en Uferstraße getrennt, eine schmale Schneise, die plötzlich zur tödlichen Falle wurde. Den Truck hat Saipov in einem Baumarkt gemietet, es ist die preiswerte­ste Art, in Amerika an einen Lieferwage­n zu kommen. „Ab 19 Dollar zu mieten“, steht an der Ladefläche.

Auf einer Strecke von eineinhalb Kilometern überfuhr oder rammte er Radfahrer, Jogger, Spaziergän­ger. Auf Höhe der Chambers Street, fünf Straßenblo­cks vom World Trade Center entfernt, stieß sein Wagen mit einem Schulbus zusammen. In der Stuyvesant High School, direkt an dem Radweg gelegen, war der Unterricht gerade zu Ende gegangen; Schüler machten sich auf den Heimweg. Als der Fahrer aus seinem zerbeulten Pick-up sprang, soll er „Allahu akbar“gerufen haben – so zumindest glauben es Umstehende gehört zu haben. Sirus Minovi hielt die chaotische­n Szenen vor der Stuyvesant-Schule zunächst für einen Scherz. „Wir hörten Leute schreien: ‚Waffe!‘, ‚Schütze!‘, ‚Lauft weg!‘. Im ersten Moment dachten wir, es wäre ein HalloweenG­ag“, berichtete der 14-Jährige. Ein Passant, so Minovi, sei noch auf den Fliehenden zugelaufen, offenbar, weil er glaubte, ihn beruhigen zu müssen.

Am späten Abend meldeten die Nachrichte­nsender die Opferbilan­z: acht Tote und elf Verletzte. Fünf Todesopfer waren aus Argentinie­n zu einem Klassentre­ffen nach Manhattan gereist. Auch eine Frau aus Belgien starb auf dem Radweg.

Unklar ist noch, ob die Terrorfahn­der Saipov bereits im Visier hatten. 2015 begannen das FBI und die New Yorker Polizei eine Gruppe junger Männer unter die Lupe zu nehmen, deren Wurzeln in Zentralasi­en liegen. Wegen mutmaßlich­er Verbindung­en zum „Islamische­n Staat“. Sechs von ihnen – fünf stammten aus Usbekistan, einer aus Kasachstan – wurden angeklagt. Im Zuge der Nachforsch­ungen, berichten USMedien, sei auch Saipovs Name gefallen. John Miller, Sprecher der New Yorker Polizei, sagte allerdings, weder die Bundespoli­zei FBI noch die New Yorker Polizei hätten je gegen den Mann ermittelt.

2010 war er aus Taschkent übergesied­elt, Gewinner einer Lotterie, die Green Cards verlost, Dokumente, die einen unbefriste­ten Aufenthalt in den USA garantiere­n. Des Englischen kaum mächtig, fing Saipov bei einer Spedition in Ohio an. Später verschlug es ihn nach Florida, irgendwann zog er nach Paterson, in eine Satelliten­stadt am Rande New Yorks, in der bereits ab den Siebzigerj­ahren Muslime aus dem Nahen Osten eine neue Heimat fanden.

Zuletzt fuhr er für Uber, den Fahrdienst­vermittler. Einen Sicherheit­scheck habe er problemlos bestanden, lässt das Unternehme­n wissen. Saipov, sagt Andrew Cuomo, der Gouverneur des Bundesstaa­ts New York, sei erst in den Vereinigte­n Staaten zum radikalen Islamisten geworden.

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FOTO: DPA Die traditione­lle Halloween-Parade am Abend des 31. Oktober wurde nicht abgesagt – wohl aber schwer bewacht, nachdem bei einem Anschlag mit einem Kleinlaste­r acht Menschen getötet worden waren.

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