Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Puigdemont droht Europäischer Haftbefehl
Auch in Belgien kann sich Kataloniens geflohener Ex-Regierungschef nicht sicher fühlen
BRÜSSEL - Carles Puigdemont hat offensichtlich recht romantische Vorstellungen von der Europäischen Union. Obwohl die EU-Kommission mehrfach klargestellt hat, dass sie in dem Konflikt um Kataloniens Unabhängigkeit auf Seiten der spanischen Zentralregierung steht, reiste der entmachtete Katalanenführer am Montag nach Brüssel. Er wolle kein Asyl in Belgien beantragen, stellte er klar. Vielmehr baue er nach wie vor auf eine Vermittlerrolle der EU.
Doch die EU begreift sich als Zusammenschluss demokratischer Rechtsstaaten. Nur wer die entsprechenden Kriterien erfüllt, wird ja überhaupt aufgenommen. Natürlich gibt es immer wieder Problemfälle wie Italien in der Ära Berlusconi, Österreich unter einer Koalitionsregierung mit dem Rechtspopulisten Jörg Haider, aktuell Victor Orban in Ungarn oder Polen unter dem Einfluss des EU-Skeptikers Kaczynski. Spanien aber sehen sowohl Brüssel als auch die anderen Mitgliedsstaaten als funktionierende Demokratie mit intakter Gewaltenteilung.
Keine Bedenken gegen Spanien
Der Staatsgerichtshof in Madrid hat Puigdemont und 13 Mitglieder seiner abgesetzten Regierung für Donnerstag und Freitag vorgeladen. Die zuständige Richterin könnte nach einer Anhörung Anklage erheben. Die Staatsanwaltschaft hatte dies beantragt und wirft den Politikern Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel vor. Sollte Puigdemont tatsächlich nicht erscheinen, könnte Spanien seine Festnahme beantragen. Dafür müsste die Staatsanwaltschaft einen Europäischen Haftbefehl ausstellen – und würde dies wohl auch tun, wie ein Vertreter der Behörde ankündigte.
Vermutlich hätte kein belgischer Richter Bedenken, einen von spanischen Justizbehörden ausgestellten Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken. Dieses Instrument, das die grenzüberschreitende Strafverfolgung erleichtern soll, gibt es seit 2002. Es fußt auf dem Grundsatz der „gegenseitigen Anerkennung“, selbst wenn es den entsprechenden Straftatbestand im ausliefernden Land so gar nicht gibt. Würde also ein spanischer Richter als Tatvorwurf „Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung öffentlicher Mittel“in das Formular schreiben, bliebe dem belgischen Kollegen nur, dahinter ein Häkchen zu machen und die Auslieferung von Puigdemont und seinen politischen Mitstreitern anzuordnen.
Paul Bekaert, der belgische Anwalt des katalanischen Politikers, scheint seinen Mandanten über die Rechtslage nur lückenhaft aufgeklärt zu haben. Dem niederländischen Fernsehsender NOS sagte er am Dienstag, ein Auslieferungsantrag Spaniens sei „nicht entscheidend“. In der Vergangenheit habe er Basken vertreten, die ebenfalls wegen separatistischer Aktionen hätten nach Spanien ausgeliefert werden sollen. In diesen Fällen sei die Befragung von belgischen Polizisten vorgenommen worden. Es sei unklar, ob Puigdemont in Spanien ein faires Verfahren erwarten könne. Mit diesem Argument werde er die Auslieferung verhindern.
Regierung gibt sich reserviert
Deutlich nüchterner äußerte sich Belgiens liberaler Regierungschef Charles Michel zu der Affäre. Er machte deutlich, dass der katalanische Politiker nicht auf Einladung der belgischen Regierung im Land sei. Brüssel habe er vielmehr gewählt, weil es die Hauptstadt der EU sei. Puigdemont habe „dieselben Rechte und Pflichten wie jeder andere EU-Bürger“.
Natürlich entscheidet die belgische Justiz unabhängig von der Einschätzung ihres Regierungschefs. Michels Wortwahl aber macht deutlich, dass er seinen ungebetenen Gast nicht als politisch Verfolgten sieht. Wenn für Puigdemont aber die gleichen Regeln gelten wie für jeden anderen von den Strafverfolgungsbehörden gesuchten Bürger, dann steht er in Madrid vor der Ermittlungsrichterin, nur wenige Stunden, nachdem der zuständige Staatsanwalt einen Europäischen Haftbefehl ausgestellt hat.