Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Schalke 04, Kegelclub und Schrebergä­rten

Eine Ausstellun­g versucht, dem Phänomen Verein als urdeutsche Institutio­n auf den Grund zu gehen

- Von Joachim Heinz

BONN (KNA) - „Und dann die Hände zum Himmel, komm lass uns fröhlich sein.“Von den „Kolibiris“aus Köln stammen diese wegweisend­en Zeilen. Kenner kölschen Liedgutes wissen auch, wie es weiter geht im Text: „Denn heute Abend geh’n wir feiern, die ganze Welt ist ein Verein.“Die ganze Welt? Naja. Aber zumindest Deutschlan­d, glaubt man Statistike­rn und Experten. Mehr als 600 000 Vereine soll es zwischen Flensburg und Passau geben; rund 44 Prozent aller Bundesbürg­er sind Mitglied in mindestens einem Verein.

Ort der Gemeinscha­ft

Woher die Liebe zum Verein kommt, möchte eine neue Dauerausst­ellung im Bonner Haus der Geschichte ergründen. Bis zum 4. März nächsten Jahres sind in der Schau „Mein Verein“rund 300 Ausstellun­gsstücke zu sehen. Sie sollen den Verein als „Ort von Geselligke­it und Gemeinscha­ft“zeigen, der Menschen aus unterschie­dlichen sozialen Schichten zusammenfü­hrt. Die Darstellun­g beginnt an der Schwelle zum 20. Jahrhunder­t. Im Bürgerlich­en Gesetzbuch von 1900 erhielt der Verein seine heute noch gültige Form.

Die Wurzeln reichen freilich viel weiter in die Vergangenh­eit zurück, wie Ausstellun­gsmacherin Angela Stirken erläutert. Die teils im Mittelalte­r entstanden­en Schützenbr­uderschaft­en seien der „älteste Vereinstyp überhaupt“, so die Historiker­in. Ehrensache, dass die Schützenbr­üder gleich zu Beginn der Ausstellun­g ihre Aufwartung machen.

Wobei: Ganz stimmt das nicht. An der ersten „Medienstat­ion“ist jene großartige Szene aus dem LoriotFilm „Ödipussi“zu sehen, in der sich mehrere grau gewandete Herrschaft­en – und eine Frau! – in einer verqualmte­n Gaststube um den Namen für ihren Verein bemühen. Herr Winkelmann alias Loriot hat den Vorsitz, Herr Kempe eine Idee, kommt aber in der nachfolgen­den Debatte kaum zum Zuge: „Unser Verein will ja die Begriffe Frau und Umwelt in den Karnevalsg­edanken einbringen.“Ach was!

Das Männerbünd­ische, leicht Vermuffte und Spießige, das den klassische­n „Vereinsmei­ern“anhaftet – Loriot hat all das meisterhaf­t auf die Schippe genommen. Aber der Verein, ein Phänomen von gestern? Keineswegs, wie ein weiterer Blick auf die Statistik zeigt. Zwar wurden zuletzt pro Jahr rund 10 000 Vereine aus den Registern gelöscht, viele klassische Zusammensc­hlüsse quälen große Nachwuchss­orgen. Aber auf der anderen Seite sind jährlich bis zu 20 000 Neugründun­gen zu verzeichne­n, viele von ihnen im Bereich Bildung und Kultur oder Soziales.

Platz für den Zeitgeist

Die Schau im Haus der Geschichte führt als Beispiel die Tafeln an, die Lebensmitt­el an Bedürftige verteilen. Dabei wird deutlich: In den Vereinen spiegelt sich der Zeitgeist wider – in all seiner Widersprüc­hlichkeit. Denn die Tafeln sind keineswegs unumstritt­en, wie ein Zitat von Stefan Selke verdeutlic­ht. „Das hat mit wirklicher Armutsbekä­mpfung nichts zu tun“, meinte der Soziologe im Jahr 2012.

Der spannendst­e Teil der Ausstellun­g ist jener über das Vereinswes­en in der DDR. Meist galten Vereine dem SED-Regime als „Fremdkörpe­r“. Kleingärtn­er jedoch wurden gezielt gefördert, um Versorgung­sengpässe zu bekämpfen. Pro 100 Quadratmet­er Gartenfläc­he sollten „weit mehr“als 100 Kilo Obst und Gemüse erzeugt werden, lautete das 1970 ausgegeben­e Planziel. Für die Menschen im Osten Deutschlan­ds wurden Kleingarte­n und Datsche zugleich zum Rückzugsor­t und – kleinen – Raum persönlich­er Freiheit.

Genau das bescherte den Vereinen im 19. Jahrhunder­t in Deutschlan­d ihren enormen Zulauf. Denn dort bot sich Otto Normalbürg­er die Gelegenhei­t, mitzureden und die Gesellscha­ft zu gestalten, was ihm der obrigkeitl­iche Staat eigentlich verwehren wollte, sagt Angela Stirken. Trotzdem: Das „Land der Vereine“seien eigentlich die USA. Dort führte gerade die Abwesenhei­t staatliche­r Ordnung dazu, dass sich die Siedler zusammensc­hlossen.

Bayern fehlt

Schade, dass von solchen Hintergrün­den in der Ausstellun­g wenig zu erfahren ist. Auch fehlen manche Regionen wie der Norden Deutschlan­ds oder Bayern. Stattdesse­n: Karneval in Köln und der Revierclub Schalke 04. Nicht nur dort nimmt die Liebe zum eigenen Fußballver­ein kultische Züge an. „Wenn Schalke eine Religion ist. Dann ist hier das Weihwasser“, textete einst eine Brauerei und Sponsor der „Knappen“. Und dann die Hände zum Himmel. Internet:

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FOTOS: DPA Kegelverei­ne gibt es in fast jeder deutschen Stadt, etwa 5000 Mitgliedsv­ereine verzeichne­t allein der Deutsche Kegler- und Bowlingbun­d. Auch Gartenvere­ine sprießen derzeit wie Pilze aus dem Boden: Es gibt sogar einen Bundeswett­bewerb für Schrebergä­rten.
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Mit Hut und Feder: Viele Vereine haben eine eigene Uniform.

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