Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Viele bewegen sich illegal
Für dieses Jahr rechnet man mit 13 000 Flüchtlingen
BELGRAD (ric) - Auf dem Papier ist die sogenannte Balkanroute seit März 2016 geschlossen. Für kurze Zeit brachen die Flüchtlingszahlen auf knapp 1000 in Serbien ein, doch ab Mai 2016 stiegen die Zahlen laut der UN-Flüchtlingsorganisation UNHCR kontinuierlich auf rund 8000 Flüchtlinge an.
Anfang Oktober waren es knapp 4500, die Dunkelziffer dürfte aber höher sein. „Die meisten Flüchtlinge sind gezwungen, sich heimlich und illegal zu bewegen, deshalb können wir die Ein- und Ausreisen nicht mehr genau erfassen“, so ein Sprecher des UNHCR. Die Organisation rechnet damit, dass in diesem Jahr insgesamt bis zu 13 000 Flüchtlinge Serbien passieren werden, 6000 werden voraussichtlich im Land bleiben. Zurzeit steigt die Zahl der Flüchtlinge wieder an: zwischen 200 und 300 sind es pro Woche – vor allem kurdische und jesidische Familien. Seit die Mittelmeerroute nach Italien unterbrochen ist, sind wieder mehr auf dem Balkan unterwegs.
Die meisten Flüchtlinge in Serbien stammen aus Afghanistan (59 Prozent), zwölf Prozent kommen aus dem Irak, etwa genauso viele kommen aus Pakistan, nur vier Prozent sind aus Syrien, die eine hohe Anerkennungsquote in Deutschland haben. Die Bundesrepublik schiebt bereits erste Afghanen ab. Die Anerkennungsquote bei afghanischen Asylbewerbern lag nach jüngsten verfügbaren Zahlen laut Angaben des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im September bei 44,4 Prozent, bei Irakern bei 57,1 Prozent. Das hält die Flüchtlinge in Serbien aber nicht davon ab, es trotzdem zu versuchen. einrichtungen, organisiert Freizeitgestaltung. Um die Infrastruktur kümmert sich der serbische Staat. Gestützt wird das Konstrukt vor allem durch EU-Gelder sowie Spenden. Mehr als 20 Millionen Euro gab die EU für die Bewältigung der Flüchtlingskrise in Serbien bisher aus.
In Adasevci fragen Mustafa Halil und seine Freunde die Fremden immer nach Wegen in die EU. „Wir wissen nicht, was wir machen sollen“, sagt er. Wenn sie nach Westeuropa wollen, führt der kürzeste Weg über Ungarn und Kroatien. Der Grenzübertritt nach Kroatien ist für sie aber illegal. „Wir alle fürchten uns sehr davor. Die kroatischen Polizisten schlagen uns mit Stöcken am ganzen Körper, hetzen Hunde auf uns, werfen unsere Handys auf den Boden und treten darauf. Sie sind schlimmer als in Bulgarien und Mazedonien“, sagt er. Seine Freunde nicken. „Wir versuchen es aber immer wieder“, sagt Abduhalla aus Pakistan und zeigt seine Wunden am Fuß. Der 14-jährige Nur Rahman aus Afghanistan hat eine Platzwunde am Kopf.
Wohin die Menschen aus Adasevci gehen, weiß auch die Lagerleitung nicht. „Wir haben keine Zahlen dafür, aber viele von ihnen nehmen den Weg in Richtung Rumänien. Manche gehen nach Griechenland zurück oder nutzen Schlepper“, sagt ein Verantwortlicher. Vor Schleppern seien sie in den Lagern sicher, dort ist regelmäßig die Polizei vor Ort. Laut Schätzungen der lokalen Hilfsorganisation „Novi Sad Humanitarian Center“, mit der auch Care zusammenarbeitet, leben etwa 200 Flüchtlinge in der Gegend um das Camp. Sie verstecken sich in Feldern und Scheunen. Das SchlepperGeschäft boomt. In einem Land mit niedrigen Einkommen versuchen Taxifahrer, so schnelles Geld zu machen. Gerade in den Dörfern um Belgrad gibt es immer wieder Berichte von festgenommenen Schleppern.
Mustafa Halil und seine Freunde wollen keine Schlepper nutzen, sagen sie. Sie kennen Erzählungen von anderen, die erwischt oder betrogen wurden. Bis sie einen Weg in die EU finden, warten sie in Adasevci an der Autobahn 3. Die heißt übrigens auch „Europastraße 70“.