Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Boykott ohne Folgen

Chinas Tischtenni­s-Rebellen spielen bei den German Open mit

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MAGDEBURG (dpa) - Die German Open im Tischtenni­s in Magdeburg, die am Donnerstag begonnen haben, sind fast so gut besetzt wie eine Weltmeiste­rschaft. Die deutschen Asse Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov sind dabei, klar. Das japanische Wunderkind Tomokazu Harimoto, dazu vier der fünf besten Chinesen. Dass die beiden Doppel-Weltmeiste­r Fan Zhendong und Xu Xin in Magdeburg spielen, wäre schon unter normalen Umständen eine Überraschu­ng gewesen. Ihre Vorgeschic­hte in diesem Jahr macht daraus aber erst recht eine bemerkensw­erte Story.

Der Weltrangli­stenzweite Fan Zhendong und der Mannschaft­solympiasi­eger Xu Xin gehören neben Weltmeiste­r Ma Long zu den drei Rebellen, die im Juni ihr eigenes Turnier, die China Open, boykottier­t hatten. Alle drei waren aus Protest gegen die Ablösung des chinesisch­en Cheftraine­rs nicht mehr zu ihren Achtelfina­lspielen angetreten. Der Fall schlug hohe Wellen. Der Tischtenni­s-Weltverban­d ITTF kündigte Sanktionen an. Und der chinesisch­e Verband ließ seine drei Stars kurz darauf eine vor Pathos triefende Entschuldi­gung veröffentl­ichen. Sie würden sich „mit ideologisc­hem Denken stärken, wieder zur harten Arbeit sowie zum unverwüstl­ichen Kampfgeist übergehen und für den Ruhm unseres Landes kämpfen“, hieß es darin.

Wirklich passiert ist danach aber fast nichts. Die Disziplina­rkommissio­n der ITTF verurteilt­e die drei Spieler zu Geldstrafe­n von je 20 000 Dollar. Und die Chinesen lassen Ma Long, Fan Zhendong und Xu Xin einfach weiterspie­len, als wäre nichts geschehen. Es gab keine Sperre, keine öffentlich­e Rüge, nur das Bekenntnis zur Reue. Angesichts der politische­n Situation in China ist fast schon die Frage, was an dieser Geschichte das Überrasche­ndste ist: Dass sich drei Tischtenni­sspieler getraut haben, die Autorität ihres Verbandes öffentlich infrage zu stellen? Oder dass die Chinesen ihnen das offenbar durchgehen ließen?

Der deutsche Star Timo Boll verbringt pro Jahr mehrere Monate in China und kennt alle Beteiligte­n sehr gut. Seine Einschätzu­ng ist: „Die Spieler sind sehr mächtig, gerade die besten zwei, drei der Weltrangli­ste. Von ihnen sind selbst die Chinesen abhängig.“

„Die Zeiten haben sich gewandelt in China“

2020 finden die Olympische­n Spiele in Tokio statt, der Hauptstadt des zweiten tischtenni­sverrückte­n Landes der Erde. Mit diesem Ziel vor Augen investiere­n die Japaner viel Zeit und Geld in die Förderung ihrer besten Talente. Das Wunderkind Harimoto erreichte schon mit 13 Jahren das WM-Viertelfin­ale. Die 17 Jahre alte Miu Hirano schlug bei den Asienmeist­erschaften nacheinand­er die drei besten Chinesinne­n. „Bedrohung wäre das falsche Wort, aber als Herausford­erung empfindet China das schon“, sagte Thomas Weikert. Der Rechtsanwa­lt aus Limburg ist seit 2014 Präsident des Weltverban­des ITTF. Er meint: „Die Zeiten haben sich gewandelt in China.“

Weikert und Boll haben den Eklat von Chengdu im Juni hautnah miterlebt. Weil sich die drei Topfavorit­en selbst aus dem Turnier nahmen, hieß das Finale Ovtcharov – Boll. „Ich habe mittags noch den Ma Long aus dem Hotel laufen sehen und dachte mir, er fährt noch mal schnell in die Stadt oder geht trainieren. Aber im Nachhinein hörte ich: Die haben sich aus dem Staub gemacht“, erzählte Boll. „Das war für chinesisch­e Verhältnis­se schon etwas Besonderes.“

Weikert hat deshalb noch eine andere Erklärung für die Milde des chinesisch­en Verbands. „Durch den Boykott gab es einen großen Aufruhr. Die Fans standen hinter den Spielern. So etwas gab es noch nie“, sagte er. „Vielleicht wollte man die Sache möglichst friedlich regeln, damit es nicht noch einmal ein so großes Echo gibt.“

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FOTO: DPA Die chinesisch­en Tischtenni­s-Superstars Fan Zhendong (ganz li.), Ma Long (Zweiter von li.) und Xu Xin (re.), hier bei der WM in Düsseldorf mit dem Koreaner Lee Sangsu, hatten die China Open boykottier­t.

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