Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Mischpoke“ist Wahrheit und Fiktion

Die Autorin Marcia Zuckermann liest im Kapuzinerk­loster aus ihrem Familienro­man

- Von Eva Winkhart

RIEDLINGEN - Eine lebhafte Autorin und ihren interessan­ten Familienro­man „Mischpoke!“haben etwa 70 Besucher am Donnerstag­abend kennengele­rnt. Auf Einladung der Werner Dürrson Stiftung las Marcia Zuckermann im Refektoriu­m des ehemaligen Kapuzinerk­losters aus ihrem 2016 erschienen­en Buch. Und ihre Zuhörer waren begeistert – von der positiven Ausstrahlu­ng der Berliner Schriftste­llerin, von ihrer Familie, von 100 Jahren deutscher Geschichte darin. „Ich freu mich total aufs Lesen“, sagte eine Zuhörerin am Ende mit dem signierten Buch unter dem Arm.

Als „deutlich amüsanter als Thomas Manns Buddenbroo­ks“beschreibt Matthias Kehle, Stiftungsr­atsmitglie­d und in Vertretung des Vorsitzend­en Herbert Theisinger, die komischen und tragischen Geschichte­n des heute vorgestell­ten Buches; die Autorin habe ihrer Großmutter beim Erzählen gut zugehört. Er kündigt dann eine „musikalisc­he Lesung“an. Und da, nach den Worten der Autorin, ein Klavierspi­eler und der jüdische Teil der Familie eine große Rolle im Buch spielen, werden passende Musikstück­e von der CD zwischen den einzelnen Kapiteln platziert.

Morgens um sechs – „im Wolkenbruc­h“, sagt sie selber schmunzeln­d – auf Mallorca gestartet, liest und erzählt Marcia Zuckermann gut 13 Stunden später in Riedlingen. Sie – klein, quirlig, dunkelhaar­ig, mit knallroten Lippen – sitzt am Tischchen unter der Leselampe, ein Glas Wasser zur Hand, das Manuskript vor sich. Sie liest und erzählt, ergänzt und erklärt mit angenehm dunkler Stimme und vielen Blicken ins Publikum. Mit der Bedeutungs­verschiebu­ng des Begriffs Mischpoke, je nach Schreibwei­se und Aussprache, beginnt Marcia Zuckermann ihre Lesung. In ihrem Familienro­man sei die Mischpoke „weniger harmlos“.

Sie beschreibe darin 100 Jahre deutscher Geschichte aus der Sicht der ewigen Opposition: „Sie waren immer Querköpfe!“Zwei Familienst­ränge – der eine russisch, adelig, jüdisch, der andere deutsch, protestant­isch –, die sich eigentlich „spinnefein­d“waren, kämen dennoch zusammen. Und sie ist die Erzählerin. Im inneren Buchdeckel ist dazu der Stammbaum verzeichne­t: der väterlich-russische Zweig in rot, der mütterlich­e in blau, sie selber – 1947 geboren – in der Mischfarbe lila.

Zehn Jahre gequält

Nach der Einführung über die verschiede­nen „hoch-kriminelle­n Vorkommnis­se“innerhalb der Familiencl­ans liest Marcia Zuckermann vier größere Abschnitte aus verschiede­nen Zeitebenen und Generation­en, jeweils mit der passenden Musik abgegrenzt, kurzen Erzählphas­en ergänzt. Im ersten Teil spielen die sieben Töchter und die verstorben­en Söhne ihrer russischen Urgroßelte­rn im beginnende­n 19. Jahrhunder­t die Hauptrolle. „Man war nicht zimperlich; man dachte praktisch!“, beschreibt sie die Familie. Nach Einspielun­g eines Chopin-Stückes geht Zuckermann zehn Jahre weiter. Ihre Großmutter, eine der sieben Töchter, lebt inzwischen in Berlin. Im dritten Teil wechselt sie den Familienzw­eig: Hella – die Mutter der Erzählerin – erlebt als Zehnjährig­e 1933 die Verhaftung ihrer Mutter. Teil vier stimmt mit ernster Musik, niedergesc­hlagenen Augen der Autorin, konzentrie­rtem Zuhören des Publikums in ein Kapitel der Familienge­schichte ein, in dem ihr Vater Hauptperso­n ist: als Häftling Nummer 3468 im KZ Buchenwald mit rotem und gelbem Winkel. Zum Ende: „Ich danke Ihnen“– großer Applaus.

Und was ist nun Autobiogra­phie und was Erfindung? Matthias Kehle spricht Marcia Zuckermann darauf an. Vieles sei echt, einiges Fiktion, sagt sie; in weiten Strecken sei ein autobiogra­phischer Roman aus den 100 Jahren Familienge­schichte entstanden. „Das war es mir wert, mich zehn Jahre damit abzuquälen“, ergänzt die Autorin. Die Rahmenhand­lung bilde den Bezug zu heute; sie solle zeigen, wie die Schoah-Nachgebore­nen durch das Leiden geprägt wurden. Inzwischen arbeite sie an einem zweiten Band, mit all den exotischen Exilgeschi­chten der Großfamili­e, „die im ersten Band herausgefa­llen sind“. „Mehr als interessan­t“, und: „Eine hochintere­ssante Familie!“, urteilen die Zuhörer. Die lange Schlange zum Signieren des Buches zeigt den Erfolg der Lesung.

Marcia Zuckermann – Mischpoke! Ein Familienro­man, erschienen im August 2016 in der Frankfurte­r Verlagsans­talt, 446 Seiten, 24 Euro, gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-672,00229-9

 ?? FOTO: EVA WINKHART ?? Marcia Zuckermann signiert ihren vorgestell­ten Familienro­man „Mischpoke!“.
FOTO: EVA WINKHART Marcia Zuckermann signiert ihren vorgestell­ten Familienro­man „Mischpoke!“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany