Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Friedhof der Wuscheltie­re

Wie die Briten um das heimische rote Eichhörnch­en kämpfen

- Von Sarah Wagner, Christoph Meyer und Silvia Kusidlo

LONDON (dpa) - Grauhörnch­en sind in London allgegenwä­rtig. Spaziergän­ger im St. James’s Park nahe des Buckingham-Palastes müssen nicht lange warten, bis eines der niedlichen Tiere ihren Weg kreuzt. Doch viele Briten mögen die kleinen Wuschel gar nicht. Die aus Nordamerik­a stammenden Grauhörnch­en haben dafür gesorgt, dass rote Eichhörnch­en, wie sie auch in Deutschlan­d vorkommen, in weiten Teilen des Landes verschwund­en sind. Mehrere Initiative­n wollen die Invasion der Grauhörnch­en nun stoppen – mit teils rabiaten Methoden.

Alles begann, als britische Adlige Ende des 19. Jahrhunder­ts Grauhörnch­en nach Großbritan­nien brachten, um sie in den Parks ihrer Herrenhäus­er anzusiedel­n. Die Tiere breiteten sich rasant aus und verdrängte­n ihre einheimisc­hen, rötlichen Verwandten. Grauhörnch­en (Sciurus carolinens­is) unterschei­den sich abgesehen von der Fellfarbe von ihren europäisch­en Cousins (Sciurus vulgaris) vor allem in ihrer Statur: Sie sind größer und kräftiger. Zudem haben sie im Winter keine Ohrpinsel. Experten gehen davon aus, dass die roten Eichhörnch­en in etwa 35 Jahren landesweit verschwund­en sein könnten.

Kein Nebeneinan­der möglich

Manchmal gibt es zumindest Lichtblick­e. So teilte die Umweltorga­nisation Trees for Life kürzlich mit, dass sich die rote Art im Hochland von Schottland erneut ausbreitet. Die im vergangene­n Jahr im Nordwesten wieder angesiedel­ten Tiere eroberten ihre Umgebung. „Das könnte eine Erfolgssto­ry werden“, hofft Trees for Life. Aber: Es sind erste Beobachtun­gen, gezählt wird erst im nächsten Frühjahr. „Der Grauhörnch­enBestand wird heute auf 2,5 Millionen geschätzt, während es noch etwa 140 000 Eichhörnch­en gibt“, sagt Cathleen Thomas von Red Squirrels United, einer Organisati­on, die sich der Rettung der roten Eichhörnch­en verschrieb­en hat. Ein Nebeneinan­der beider Hörnchenar­ten sei nicht möglich, erklärt die Ökologin. „Grauhörnch­en tragen einen Pockenviru­s in sich. Während sie selbst keine Symptome zeigen, können Eichhörnch­en innerhalb von zehn Tagen daran sterben.“

Die Rettung der roten Eichhörnch­en ist den Briten eine Herzensang­elegenheit. Auch die Royals mischen mit: „Das rote Eichhörnch­en ist eines der absolut bezaubernd­sten und unwiderste­hlichsten einheimisc­hen Säugetiere Großbritan­niens“, schwärmt Prinz Charles. Er könne „den Gedanken nicht ertragen“, dass die Tiere eines Tages verschwänd­en. Der Thronfolge­r unterstütz­t eine Initiative, die die Grauhörnch­en mit Fallen dezimieren will. Gefangene Tiere werden medikament­ös unfruchtba­r gemacht. Andere Initiative­n verfolgen rabiatere Ansätze. Cathleen Thomas berichtet von einer Aktion, bei der die Grauhörnch­en gefangen und auf „humane Weise“getötet werden. Vor allem in den letzten Rückzugsge­bieten der rötlichen Art, etwa in Nordenglan­d, sollen Freiwillig­e zugewander­te Grauhörnch­en melden. Wer sich das zutraut, kann sich für das Töten der Tiere ausbilden lassen.

In London auf der Speisekart­e

Für John Bryant von der Tierschutz­organisati­on Humane Urban Wildlife Deterrence Associatio­n ist das Unsinn. Er findet, der Mensch solle nicht in den Wettkampf der Arten eingreifen. Auch die roten Eichhörnch­en seien vor langer Zeit nach Großbritan­nien eingewande­rt, meint er. „Ich denke, die Menschen wollen zurück zu den sogenannte­n ‚guten, alten Zeiten‘, als alles hier noch britisch war.“

In Deutschlan­d sind die roten Eichhörnch­en noch nicht gefährdet. Zwar wurden Grauhörnch­en in Norditalie­n beobachtet. Vorkehrung­en, um sie von der Wanderung nach Deutschlan­d abzuhalten, seien aber noch nicht notwendig, sagt Stefan Bosch vom Naturschut­zbund BadenWürtt­emberg. Jedoch sei das Importiere­n und Aussetzen gesetzlich streng verboten.

Für getötete Grauhörnch­en lässt sich übrigens durchaus Verwendung finden: Einige Restaurant­s setzen die Tiere auf ihre Speisekart­e. So das „The Jugged Hare“in London – allerdings nur gelegentli­ch, da „die Nachfrage nicht groß“sei, erzählt eine Mitarbeite­rin. Bei dem Unternehme­n The Wild Meat Company, wo man Grauhörnch­en-Fleisch bestellen kann, gelten die Nager hingegen als Verkaufs-Hit. „Die Tiere sind bei uns sehr beliebt“, sagt Firmenspre­cherin Annabel Warne.

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FOTO: MONIKA SKOLIMOWSK­A Grauhörnch­en in einem Park in London: Die Tiere verdrängen die einheimisc­hen, rötlichen Eichhörnch­en.

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