Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Polizei hat „Reichsbürger“im Visier
Im Bereich des Polizeipräsidiums Ulm gehören 100 Personen zu den Staatsverweigerern
ULM - Nach dem Urteil gegen einen Polizistenmörder am Landgericht Nürnberg-Fürth zu lebenslanger Haft rückt die Szene der „Reichsbürger“erneut stärker ins Visier der Sicherheitsbehörden. Denn der 50-Jährige, der vor einem Jahr beim Einsatz eines Spezialkommandos in Franken einen Polizeibeamten erschoss, gehört zu der Gruppe von Staatsverweigerern, die die Bundesrepublik Deutschland und ihre Institutionen ablehnen und teilweise gewaltbereit sind. Zwar ist die Zahl der „Reichsbürger“in Baden-Württemberg eher rückläufig. Im gesamten Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums Ulm – dazu zählen neben der Stadt Ulm auch der Alb-Donau-Kreis sowie die Kreise Heidenheim, Biberach und Göppingen – rechnen die Beamten nur etwa 100 Personen dem Spektrum zu. „Tendenz eher abnehmend“, so Pressesprecher Rudi Bauer. Keiner davon werde als gefährlich eingestuft.
Anders die Entwicklung in Bayern. Hier ist die Zahl der „Reichsbürger“zuletzt deutlich gewachsen. Im Zuständigkeitsbereich der Kriminalpolizei Neu-Ulm gibt es ebenfalls etwa 100 Personen, die dem Spektrum der „Reichsbürger“zugerechnet werden. Von den gut 100 „Reichsbürgern“in den Kreisen Neu-Ulm und Günzburg stuft die Polizei etwa ein Dutzend als „Hardcore-Leute“ein, die vollkommen verblendet seien und nur noch in ihrer eigenen Welt lebten. „Die darf man nicht unterschätzen“, sagt Ulrich Polzmacher.Einen Teil davon hält die Neu-Ulmer Polizei für potenziell gefährlich. „Die Polizei hat ein Auge drauf“, sagt Ulrich Polzmacher, Leiter des Kommissariats Staatsschutz.
Wobei die Szene äußerst zersplittert und unübersichtlich ist. „Das Spektrum der Reichsbürger und Selbstverwalter reicht von Querulanten, Staatsverdrossenen oder Verschwörungstheoretikern bis hin zu Geschäftemachern, psychisch Kranken und Personen mit geschlossenem rechtsextremistischem Weltbild“, berichtet das bayerische Landesamt für Verfassungsschutz. Nach den tödlichen Schüssen auf einen Polizisten und anderen gewalttätigen Attacken ist der Freistaat entschlossen, „Reichsbürgern“konsequent die Waffen abzunehmen.
Schwere Straftaten oder gar ein Tötungsdelikt wie in Franken wurden durch „Reichsbürger“in der Region zwar bislang nicht verübt. Bei einem Teil der Personen, die der Szene zurechnet werden, hält die Polizei aber Gewalttaten für möglich. Bei Vollstreckung von Haftbefehlen sei es bereits zu Widerstandshandlungen gekommen, schildert Ulrich Polzmacher. Eine Straftat, die häufig verübt werde, sei versuchte Erpressung. Wenn „Reichsbürger“angezeigt oder vorgeladen werden, wehren sie sich beispielsweise mit einem selbst ausgestellten Bußgeldbescheid und drohen damit, den betroffenen Beamten in ein Schuldenregister eintragen zu lassen und die „Verstöße“öffentlich zu machen. Dabei werden oft irrwitzige Summen ins Spiel gebracht. „Mein Kollege hat schon einen Schuldenstand von 22 Millionen“, schildert Polzmacher ein Beispiel.
„Die große Masse kocht ihr eigenes Süppchen“
Polizeibeamte könnten mit solchen Drohungen und Einschüchterungsversuchen meist noch gut umgehen, aber Mitarbeiter einer kleinen Gemeinde, die mit so etwas nicht rechneten, würden so oft in Angst und Schrecken versetzt. Das sei die typische Masche der „Reichsbürger“, sagt Polzmacher. „Die große Masse kocht ihr eigenes Süppchen.“Das heißt, sie sind auf ihren eigenen Vorteil bedacht, zahlen keinen Rundfunkbeitrag, geben ihren Ausweis ab, beschaffen sich selbst gebastelte Fantasiedokumente, schikanieren Mitarbeiter in Behörden. Den Staat halten sie für eine GmbH, Polizisten für Söldner.
Gerichtsverhandlungen gegen „Reichsbürger“finden in Neu-Ulm stets mit Einlasskontrollen und Polizeischutz statt. Auch in Ulm werden bei Prozessen teilweise die Sicherheitsvorkehrungen erhöht, weil die Staatsverweigerer – so sie denn überhaupt vor Gericht erscheinen – oft mit einem ganzen „Fanklub“auflaufen, wie Michael Klausner, Sprecher des Amtsgerichts, berichtet.
Im Landkreis Neu-Ulm gibt es derzeit keinen „Reichsbürger“, der eine Waffenbesitzkarte hat. Diese berechtigt zum Besitz von scharfen Waffen, etwa für Sportgewehre. Eine der Personen hat einen kleinen Waffenschein und darf daher Schreckschusspistolen besitzen. Diese Erlaubnis werde jedoch widerrufen, erklärte Wolfgang Höppler, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Ordnung im Landratsamt Neu-Ulm.
Wie viele Leute illegal Waffen besitzen, wissen die Behörden freilich nicht. Ein unbescholtenes Blatt war bis zu einer Hausdurchsuchung beispielsweise ein 33-Jähriger aus dem nördlichen Landkreis, der ebenfalls der „Reichsbürger“-Bewegung angehören soll. Ein Waffenkauf im Internet hatte die Ermittler auf seine Spur gebracht. Im Keller des Mannes fanden die Beamten ein ganzes Arsenal von Messern, Schwertern, Macheten, Armbrüsten, ein Luftgewehr und jede Menge Munition, dazu NaziSymbole und Drogen.
Wegen der illegalen Sammlung wurde er inzwischen zu einer Geldstrafe verurteilt. Hinweise darauf, dass der Mann eine Straftat plante, ergaben sich nicht.