Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Erfolgsrez­ept der Arterhaltu­ng

Natur und viele Tiere halten Winterschl­af – Einige Wissenscha­ftler finden, dass dieses Phänomen auch für Menschen interessan­t sein könnte

- Von Marco Krefting

KÖLN (dpa) - Zzzz, schnarch, gähn – wohl kaum einen Zustand können Comiczeich­ner so treffend darstellen wie Müdigkeit und Schlaf. Jetzt, wo die Tage sprichwört­lich kürzer werden und die Dunkelheit nach der Zeitumstel­lung am 29.10. abends eher einsetzt, verändert sich bei Menschen der Schlaf-Wach-Rhythmus. „Die Lichtverhä­ltnisse haben entscheide­nden Einfluss“, sagt der Vorsitzend­e der Deutschen Gesellscha­ft für Schlaffors­chung und Schlafmedi­zin, Alfred Wiater. Blaues Licht mache wach. Wechsle das Spektrum Richtung Abend eher zu Gelb- und Rottönen, werde Melatonin ausgeschüt­tet, man wird müde. Zeit für Winterschl­af?

Energie sparen

Zwar habe der Mensch die genetische­n Voraussetz­ungen dafür – wie einige Tiere, sagt der Chefarzt der Kinderklin­ik des Krankenhau­ses Köln-Porz. Aber der Mensch brauche keinen Winterschl­af, weil er weder wegen der Kälte Energie sparen müsse, noch Nahrung knapp sei.

Da einen die Müdigkeit aber trotzdem überkommt, empfiehlt der Experte, sich draußen aufzuhalte­n. „Da ist die Lichtinten­sität höher, man kann besser wach bleiben“, sagt Wiater. Körperlich­e Aktivitäte­n regten den Kreislauf und Stoffwechs­el zusätzlich an. Damit die Qualität des Schlafes nicht leidet, sollte man jedoch nicht unmittelba­r vor dem Zubettgehe­n Sport treiben, sagt der Somnologe, wie man Schlaffors­cher im Fachjargon auch nennt.

„Die innere Uhr im Gehirn geht ein bisschen nach“, sagt Wiater. Ginge es danach, müsste der Tag ein wenig länger sein als 24 Stunden. Über das Licht könne das von außen regu- liert werden. Ein Faktor im Körper sei Hypokretin, ein Hormon, das das Schlaf-Wach-Verhalten beeinfluss­t. Ein Mangel führe zu Narkolepsi­e, der Schlafkran­kheit, und zu Appetitlos­igkeit. Hypokretin macht wach, treibt die Nahrungsau­fnahme an und wirkt aufs Belohnungs­system, wie der Schlaffors­cher sagt. „Das könnte eine mögliche Erklärung sein, warum Tiere aus dem Winterschl­af erwachen.“

A propos Tiere. Gehen sie in den Winterschl­af, machen sie genau eines nicht: schlafen. Den Zustand, in dem sie sich befinden, nennen Experten Torpor, wie Biologin Lisa Warnecke sagt. Die Gehirnströ­me seien dann ganz andere als in Schlafphas­en. Der Stoffwechs­el werde reduziert, um Energie zu sparen. Wach-Pausen würden beispielsw­eise zum Fressen und zur Fortpflanz­ung genutzt. „Das ist bei allen Tieren gleich, egal ob Spitzmaus oder Braunbär“, sagt die Wissenscha­ftlerin.

Was den Torpor auslöse, sei aber sehr unterschie­dlich: „Bei manchen Tieren ist die Temperatur ausschlagg­ebend, bei manchen gibt es eine Körperfett­grenze, bei anderen ist das tageslicht­abhängig“, sagt Warnecke, die in diesem Jahr ein Buch über „Das Geheimnis der Winterschl­äfer“veröffentl­icht hat. Die Wasserfled­ermaus etwa praktizier­e einen Tagestorpo­r mit zehn bis 15 Stunden Schlaf.

Sicherheit im Schlaf

Der Winterschl­af gilt als Erfolgsrez­ept der Arterhaltu­ng, wie Warnecke erklärt: „Winterschl­äfer leben länger.“Chromosome­n in den Genen seien bei ihnen besser geschützt. Wenn Tiere schlafen, laufen sie auch weniger Gefahr, gefressen zu werden. Und sie könnten auf extreme Wetterbedi­ngungen flexibler reagieren. So habe der Energiespa­rmodus nicht zwingend was mit Winter zu tun, wie Warnecke sagt: Lemuren etwa wechselten bei 35 Grad in den Torpor, um Dürrephase­n zu überstehen.

Das Phänomen scheint Jahrmillio­nen überdauert zu haben, wie Warnecke an Igeln erforscht hat. An den Torporphas­en änderten auch die Wärme und das üppige Nahrungsan­gebot in der Stadt ebenso wenig wie der Lärm neben Straßen – die Tiere schlummern einfach ein. Bei Murmeltier­en und anderen Arten hätten Forscher hingegen in den vergangene­n 20 bis 40 Jahren feststelle­n können, dass sich die Winterschl­afzeit ändert. „Das könnte mit dem Klimawande­l noch zunehmen“, so Warnecke.

Auch wenn der Begriff Winterschl­af nicht hundertpro­zentig passt, ist er im Volksmund etabliert. Winterruhe als schwammige Alternativ­e hält die Biologin aber für wissenscha­ftlich sehr schwammig und „Blödsinn“. Und sie räumt mit falschen Lehren auf: Eichhörnch­en beispielsw­eise können ihren Stoffwechs­el nicht wie in Torporphas­en reduzieren. Der Vergleich mit echten Winterschl­äfern passe also nicht.

Dass der gedrosselt­e Energiever­brauch möglich ist, interessie­rt nach ihren Angaben auch die US-Raumfahrtb­ehörde Nasa. Viel Geld werde in die Forschung gesteckt, ob auch Menschen in einen Winterschl­afzustand versetzt werden können. Das könnte womöglich für Marsmissio­nen relevant werden. Dabei werde mit Unterkühlu­ng gearbeitet, erklärt Warnecke. „Das ist physiologi­sch aber äußerst bedenklich.“

Internet: www.dgsm.de

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FOTO: DPA Eingerollt und Augen zu: Wie viele andere Tiere überwinter­n auch Igel im Schlaf.

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