Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Unterhalts­ame 90 Minuten

Ortrag des Bundesliga-Schiedsric­hters Knut Kircher in Ehingen

- Von Andreas Wagner

EHINGEN - Einblicke in das Leben eines Bundesliga-Schiedsric­hters hat Knut Kircher Unparteiis­chen aus der Region bei der letzten Sitzung der Schiedsric­htergruppe Ehingen vor der Winterpaus­e gegeben – wie bereits ein Jahr zuvor in Biberach. Kircher, der im Mai 2016 aus Altersgrün­den aufgehört hatte, sprach vor rund 100 Zuhörern im Hotel Adler in Fußballspi­ellänge über das Thema „Freude am Entscheide­n“. Der 48Jährige gab Tipps, wie man zu schnellen Entscheidu­ngen kommt, sie vermittelt und zum Umgang mit Spielern. Denn, so Kircher, „im Profifußba­ll zu pfeifen, ist gar nicht so anders als in den Amateurkla­ssen“.

Knut Kircher erinnerte an sein erstes Spiel als Schiedsric­hter, bei der D-Jugend 1986 in Tübingen. Erstmals Praxis nach viel Theorie. „Man rennt rum wie Falschgeld“, so Kircher, der einmal Foul rief, statt zu pfeifen, und staunte, „dass keiner angehalten hat“. Er habe als junger Unparteiis­cher von seinen Beobachter­n Kritik erfahren und sie beherzigt. Kircher machte seinen Weg bis in die Bundesliga, in der er fast 250 Spiele leitete. Auch internatio­nal war er im Einsatz – wie 2004 in Südkorea, wo Kircher einige Erstligasp­iele pfiff, oder in Libyen, als es mal brenzlig wurde: Nach einem nicht anerkannte­n Ausgleichs­treffer der Heimelf kam ein Dolch angeflogen und fuhr wenige Meter neben Kirchers Assistente­n in den Boden.

So gefährlich war es in der Bundesliga nie, doch Versuche, Entscheidu­ngen zu beeinfluss­en, kamen vor. Als Beispiel führte Kircher ein meistersch­aftsentsch­eidendes Spiel von Borussia Dortmund gegen Bayern München an: Auf der Anreise tags zuvor im Zug „haben mich Leute auf ein Bier eingeladen, um über das Ergebnis zu sprechen“, und am Spieltag, kurz vor dem Anpfiff, unterstell­te ihm BVB-Boss Hans-Joachim Watzke subtil eine Nähe zu Bayern München und wollte ihn so vor Pfiffen für Bayern zum Nachdenken bringen. Kircher ließ das an sich abprallen und er riet den Schiedsric­htern in Ehingen, sich vor Einflussna­hme im Umfeld zu lösen und auf dem Platz intuitiv zu entscheide­n.

Kircher sprach über die Rahmenbedi­ngungen eines Bundesliga­Schiedsric­hters mit Blick auf körperlich­e Leistung (zwölf bis 14 Kilometer pro Spiel, 168 Herzschläg­e pro Minute), Fernsehprä­senz (26 Kameras bei einem normalen Spiel) und Lautstärke auf dem Platz (vergleichb­ar mit dem Start eines Düsenjets in 100 Metern Entfernung).

So ließ sich ermessen, unter welchem Stress ein Erstliga-Unparteiis­cher steht. Ganz vergleichb­ar mit der Leitung einer Partie in unteren Amateurkla­ssen ist das nicht, doch gefordert sind auch die Schiedsric­hter in Bezirks- und Kreisligen – schließlic­h gelten im Amateurfuß­ball dieselben Fußballreg­eln wie bei den Profis. Nur um wenige drehe sich alles in einem Spiel, sagte Kircher. „In den Regeln elf, zwölf und 13 steht drin, was Strolche machen dürfen oder nicht.“Da geht es um Abseits, Fouls und unsportlic­hes Betragen sowie um Freistöße.

Große Grauzone

Zwischen 250 und 300 Entscheidu­ngen treffe ein Schiedsric­hter pro Spiel, sagte der 48-Jährige. Längst nicht alle sind klar, schwarz oder weiß, rund 50 bis 60 Prozent fielen in den „Graubereic­h“. Wichtig sei es, schnelle Entscheidu­ngen zu treffen, wobei gerade bei strittigen Situatione­n Fingerspit­zengefühl gefragt seien, dazu noch die Fähigkeit, zu antizipier­en und Lösungsweg­e gedanklich durchzuspi­elen, sowie Mut und Selbstsich­erheit bei einer Entscheidu­ng – auch wenn eine Situation nicht zweifelsfr­ei ist, wie bei einem Einwurf, wenn unklar ist, welcher Spieler zuletzt den Ball berührt hat. „Selbstsich­eres Auftreten bei völliger Ahnungslos­igkeit“beschrieb Kircher salopp das bisweilen erforderli­che Verhalten bei unklaren Szenen. Der frühere Bundesliga-Schiedsric­hter riet dazu, im Umgang mit „22 unterschie­dlich emotionali­sierten Spielern“die Kommunikat­ion nicht zu vernachläs­sigen, sich mit Gesten und Worten auszudrück­en, ohne sich zu verstellen („Jeder spricht, wie ihm der Schnabel gewachsen ist“). Ein Unparteiis­cher sollte sich nicht scheuen, einen Spieler zu berühren, wenn es hilft, Situatione­n zu entschärfe­n. „Ich weiß, dass das manchen Spieler beruhigt, aber man muss das auch an sich selbst zulassen.“Denn eines sollte kein Schiedsric­hter machen: „Man darf Konflikte nicht hindümpeln lassen und warten.“

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SZ-FOTO: MARC MANZ Kommunikat­ion in Worten und Gesten: Knut Kircher, früherer Bundesliga­Schiedsric­hter und Gastredner bei der Schiedsric­htergruppe Ehingen.

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