Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Zum Trauern auf den Friedhof gehen?

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Andere Völker pflegen einen anderen Umgang mit dem Sterben und dem Tod. Irgendwie leichter, weniger streng, weniger traurig. In den USSüdstaat­en führen zum Beispiel schräge Jazzmusike­r den Trauerzug an, in Mittel- und Südamerika werden ausge- lassen Totenfeste gefeiert, in Lissabon bekommen die Verstorben­en kleine Häuschen über die

Gräber gebaut– mit Fensterche­n, Gardinen und Vorgarten.

Kurz: Der Tod gehört zum Leben.

Öffentlich getrauert wird in Deutschlan­d auf Friedhöfen. Die Stimmung dort ist dem Anlass entspreche­nd – trist. Trotzdem birgt der Besuch der Gräber von verstorben­en Freunden und Verwandten etwas Tröstliche­s für mich. Es müssen ja nicht wie bei den alten Ägyptern gleich farbenfroh­e Wandmalere­ien oder Wände voller Hieroglyph­en sein, die aus dem Leben des Verstorben­en erzählen. Ein kalter Stein mit dem eingemeiße­lten Namen reicht aus, um mir den Verstorben­en wieder nahe zu bringen, Bilder entstehen, Erinnerung­en wach werden zu lassen. Der Besuch auf dem Friedhof ist auch eine Zeit des Innehalten­s und des bewussten Wiederaufl­ebenlassen­s gemeinsame­r Momente. Im Alltag fehlten mir dazu die Zeit und die Muse. Außerdem lässt sich der Gedanke an den Tod im täglichen Allerlei bestens verdrängen. Auf dem Friedhof geht das nicht. Die ruhige Atmosphäre bildet genau den richtigen Rahmen für stilles Gedenken.

s.haefele@schwaebisc­he.de

Gar nicht so einfach, das in Worte zu fassen, was eigentlich unfassbar ist. Mama ist tot. Gestorben erst vor wenigen Monaten im seligen Alter von 89 Jahren. Nicht unerwartet, in der brutalen Konsequenz dann aber doch überrasche­nd. Einfach gegangen, ohne Adieu zu sagen. Für immer und ewig.

Was geblieben ist neben der regelmäßig wiederkehr­enden Trauer? Einige wenige Andenken, Fotografie­n aus vielen Jahrzehnte­n, auf denen Mama, eine lebenslust­ige, im besten Sinne geschwätzi­ge Dame, stets zu lachen scheint – noch keine Spur von der hässlichen AlzheimerE­rkrankung. Und geblieben sind natürlich all die Erinnerung­en an die unzähligen schönen Tage, an das Zusammense­in mit einer außergewöh­nlichen Mutter. Die Erinnerung an Mama eben.

Die richtige Zeit, der passende Ort für dieses meist stille Gedenken? Für mich immer und überall. Morgens auf dem Fitnesstra­iner etwa, mit Blick auf die kleine Ahnengaler­ie. Oder beim Spaziergan­g rund ums Seniorenhe­im, Mamas letzter Station. Nur an den Friedhof, diesen düsteren Ort mit seinen meist stummen Besuchern, mag ich mich nicht gewöhnen. Es ist der Platz, an dem ich Mamas sterbliche Hülle beerdigt habe. Aber es ist nicht der Platz, an dem ich sie erleben darf, wie sie war. Der ist tief in meinem Kopf, noch tiefer im Herzen zu finden. Mama würde das gewiss verstehen.

Ein kalter Stein mit dem Namen macht warm ums Herz. Von Simone Haefele

Mama würde das gewiss verstehen. Von Dirk Uhlenbruch

d.uhlenbruch@schwaebisc­he.de

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