Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Spahn bringt Minderheitsregierung ins Spiel
Unionsfraktionschef Volker Kauder setzt SPD bei Zuwanderung unter Druck
BERLIN -Auseinandersetzungen, rote Linien und gegenseitige Drohungen, noch bevor überhaupt das erste Gespräch über eine mögliche Regierungsbildung stattgefunden hat – Union und SPD grenzen sich ab, formulieren ihre Bedingungen für eine Neuauflage der Großen Koalition.
Unionsfraktionschef Volker Kauder hat die Vorstellung zurückgewiesen, die SPD könne die Union als Preis für eine Regierungsbeteiligung zu massiven Zugeständnissen zwingen. „Wie damals werden wir jetzt vernünftig mit der SPD sprechen“, sagte der CDU-Politiker dem „Tagesspiegel“. „Das bedeutet kompromissfähig zu sein.“Eine „absolute Kernforderung“der Union sei aber die Umsetzung des CDU/CSU-Kompromisspapiers zur Zuwanderung. Dazu gehöre es, den Familiennachzug für Flüchtlinge mit nur eingeschränktem Schutzstatus weiter auszusetzen. Kauder sieht auch keinen Mehrwert der Vereinigten Staaten gegenüber dem heutigen Europa. Der SPD-Vorschlag berge eine Gefahr für die EU und die Zustimmung der Bürger für Europa.
„Wenn es mit der SPD gar nicht geht, machen wir es eben alleine“, stellte CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn klar und sprach sich für eine unionsgeführte Minderheitsregierung aus, sollten die Verhandlungen mit der SPD scheitern. Dies sei zwar etwas völlig Neues, müsse deshalb aber nichts Schlechtes sein, so der Merkel-Rivale. Eine Drohung in Richtung SPD, aber auch ein bemerkenswerter Schachzug, schließlich will Kanzlerin Angela Merkel eine Minderheitsregierung vermeiden, müsste sie doch mit wechselnden Mehrheiten arbeiten, wäre geschwächt. Höchst unsicher, ob eine Minderheitsregierung eine gesamte Wahlperiode durchhalten würde und Merkel nicht vorzeitig abtreten müsste.
Klingbeil plant auch Neuwahlen
Die SPD stelle sich parallel zu den am Mittwoch beginnenden Gesprächen mit der Union auf Neuwahlen ein, erklärte SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Er werde damit beginnen, einen möglichen Bundestagswahlkampf vorzubereiten. Große Koalition nicht um jeden Preis, lautet die Botschaft der Genossen. Am Ende entscheidet bei den Sozialdemokraten die Basis in einem Mitgliederentscheid darüber, ob es ein schwarz-rotes Bündnis geben wird oder nicht. „Wir wollen Milliardeninvestitionen in die Bildung. Wir wollen Europa reformieren. Wir wollen die Situation im Gesundheits- und Pflegebereich verbessern“, sagt Klingbeil.
Angela Merkel hatte nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen von Union, FPD und Grünen deutlich gemacht, dass sie eine Minderheitsregierung nicht für eine stabile Lösung hält. Die CDU-Chefin möchte auch Neuwahlen vermeiden. „Neuwahlen wären das Schlechteste“, warnt Spahn. Man könne nicht vor die Bürger treten und sagen ‚Eure Wahl passt uns nicht, wählt noch mal‘.
Die eigentlichen Sondierungen sollen erst nach der Weihnachtspause beginnen. Am Sonntagabend kamen Präsidium und Vorstand der CDU zusammen, um die Weichen dafür zu stellen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière rechnet im Falle einer Großen Koalition erst ab März mit einer Regierungsbildung. Er plädiert dafür, die umstrittene Frage des Familiennachzugs für Flüchtlinge in diesem Fall durch eine Vorabvereinbarung zwischen Union und SPD zu regeln. „Die SPD sollte nicht glauben,
dass alles, was sie als besonders wichtig ansieht, von uns akzeptiert werden kann. Und natürlich gilt das auch umgekehrt“, sagte er. Ob Familiennachzug, Bürgerversicherung, Vereinigte Staaten von Europa oder Solidarrente – die Union lehnt wichtige Kernforderungen der SPD ab. „Die Bürgerversicherung bringt nichts“, erklärte Bayerns Finanzminister Markus Söder. Ein solcher Systemwechsel führe bei einem Teil Krankenversicherten zu einer Verschlechterung, ohne für den anderen Teil Verbesserungen zu bringen. Zudem würden die Gesundheitskosten explodieren.