Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Hühnerfett statt Olivenöl

Die Zutaten der Spitzenküc­he kommen nicht aus der Ferne, sondern vom Bauernhof um die Ecke

- Von Christian Volbracht

DÜSSELDORF (dpa) - Der norwegisch­e Koch Esben Holmboe Bang hat sich bei einem Bauer eine Kuh gemietet. Jeden Morgen, so erzählt er auf der Bühne der „Chef-Sache“, dem Treffen der Avantgarde-Küche in Düsseldorf, bekommt er Milch nur von seiner Rosa. Die fette Milch lässt er mit Salz stocken und stellt fest, wie ein Häppchen mit dem weichen Käse je nach Futter und Jahreszeit schmeckt. „Und ist die Kuh gut drauf, schmeckt es besser.“

Überall in der Welt suchen Spitzenköc­he beste Produkte aus der eigenen Region und der aktuellen Jahreszeit für neue Kreationen. Vladimir Mukhin vom Restaurant „White Rabbit“in Moskau lässt besondere Tomaten auf einer Farm züchten. Thomas Dorfer aus Österreich nutzt das Heu vom Hof seiner Mutter für seine Almheu-Panna-Cotta.

Noch konsequent­er ist der Ansatz von jungen Köchen in Berlin: Die vier Restaurant­s „Einsuntern­ull“, „Ernst“, „Horváth“und „Nobelhart & Schmutzig“haben sich als „Die Gemeinscha­ft“zu einer engen Kooperatio­n entschloss­en. In Düsseldorf veröffentl­ichten sie unter dem Beifall des Fachpublik­ums ein Manifest, das mit scharfer Kritik beginnt: „Wir geben uns nicht mit dem Mittelmaß einer Lebensmitt­el- und Agrarindus­trie zufrieden, die eine mittelmäßi­ge Kulinarik und Esskultur mit sich bringt und unsere Märkte, Küchen und Restaurant­s mit mittelmäßi­gen Lebensmitt­eln überschwem­mt.“

Die Partner der „Gemeinscha­ft“kochen nach dem Motto von „Nobelhart & Schmutzig“radikal regional: Sie suchen nicht nach den besten Tomaten aus warmen Regionen, sondern fördern den Anbau von Sorten, die in die Umgebung von Berlin passen. Sie stehen mit ihrem Lieblingsb­auer im engen Dialog über Produkte.

Das geht so weit, dass der aus Österreich stammende Koch Sebastian Frank im „Horváth“kein Olivenöl verwendet, weil er dazu „keine emotionale Wärme aufbauen kann“. Er nimmt lieber das Fett von gekochten Hühnern.

Frank präsentier­te seine Philosophi­e zusammen mit Andreas Rieger vom „Einsuntern­ull“: Eine Aubergine für das Dessert ähnelt nach dem Dämpfen mit Minze und Läuterzuck­er einer reifen Honigmelon­e. Sie wird mit Fichtennad­el-Eis und Sellerie-Vinaigrett­e serviert. „Für ungeübte Esser ist das manchmal schwierig“, sagt Rieger.

Staunend vernimmt das Fachpublik­um der „Chef-Sache“, welche regionalen Zutaten in anderen Ländern verwendet werden. Auch wegen des Handelsboy­kotts gegen Russland ist Vladimir Mukhin für sein riesiges 200-Tische-Restaurant in Moskau auf Spezialitä­ten des Landes angewiesen. Er arbeitet unter anderem mit fermentier­tem Schwan und Elchzungen.

En vogue ist Bienenwach­s: Dorfer parfümiert Milch damit, um Eis und Panna Cotta herzustell­en. Der

Franzose Paul

Pairet (Foto: Chef-Sache/dpa) aus Schanghai gart Black Cod oder Kohlenfisc­h in einer riesigen „Kerze“, die vor dem Gast aufgeschni­tten wird. Der letzte Desserthap­pen mit Pfirsich-Sahne unter einer im Trockeneis erstarrten rosa Himbeer-Halbglocke heißt „Keine Pfirsich-Melba“und wiegt gerade mal 20 Gramm. „Eine Menge Nichts“, sagt Pairet und grinst.

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FOTO: CHEF-SACHE/DPA Der Franzose Paul Pairet gart seinen Kohlenfisc­h nicht nur in Bienenwach­s, sondern serviert ihn auch auf einer Wachsplatt­e.
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