Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Union sträubt sich
Harte Kritik an SPD-Vorstoß zur Kooperationskoalition
BERLIN (dpa) - Die SPD prüft wegen des Widerstands gegen eine Große Koalition eine neue Form der Regierungszusammenarbeit, die sogenannte Kooperationskoalition – und stößt damit vor den ersten Gesprächen am heutigen Mittwoch auf Widerstand bei der Union. CSU-Chef Horst Seehofer erklärte, der Vorschlag erinnere ihn an eine „Krabbelgruppe. Man kann nicht zum Teil regieren und zum anderen Teil opponieren.“CDU-Vize Julia Klöckner und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) sprachen sich dagegen aus.
SPD-Parteichef Martin Schulz hingegen erläuterte in der Fraktionssitzung am Dienstag die in Deutschland neue Option. Es handelt sich um ein von der SPD-Linken favorisiertes Modell, bei dem nur bestimmte Kernprojekte im Koalitionsvertrag verankert werden. Andere bleiben offen, sie würden später im Bundestag ausverhandelt.
BERLIN - Schwarz-roter Gipfel zweieinhalb Monate nach der Bundestagswahl: Kanzlerin Angela Merkel und SPD-Chef Martin Schulz loten am heutigen Abend aus, ob Union und Sozialdemokraten weiterregieren wollen. Der Tagungsort der Sechserrunde, an der auch CSUChef Horst Seehofer, Unionsfraktionschef Volker Kauder, CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt und die SPD-Fraktionsvorsitzende Andrea Nahles teilnehmen, wird nicht verraten. Maximale Geheimhaltung, um nicht die PublicityFehler von Jamaika zu wiederholen, neue Balkon-Bilder zu vermeiden. Doch ob heute schon die nächste Große Koalition angebahnt wird, muss bezweifelt werden.
SPD-Chef Schulz zog vor dem Spitzentreffen eine für Deutschland ganz neue Option der Regierungszusammenarbeit aus dem Ärmel: Die Einigung auf eine Handvoll Kernprojekte im Koalitionsvertrag, andere Vorhaben bleiben offen. Begrenzte Zusammenarbeit statt durchbuchstabiertes Regierungsbündnis, Kooperationskoalition statt Großer Koalition, „Koko“statt „Groko“. Eine „Regierung light“mit Ministerinnen und Ministern von Union und SPD, die sich aber nur auf eine Kernagenda verständigt. Für die Genossen hätte das Charme, sie wittern ihre Chance, sich in einer Art „wilder Ehe“mit der Kanzlerin durch Seitensprünge mit anderen Parteien, das Durchkämpfen eigener „Leuchtturmprojekte“profilieren zu können. Als Vorbild gilt die Einführung der „Ehe für alle“– gegen den Willen der Union. Für Merkel wäre die Kooperationskoalition wohl ein Graus, sind doch keine wirklich stabilen Verhältnisse hinzubekommen, müsste sich die Kanzlerin selbst wechselnde Verbündete suchen. Und so wettern ihre Getreuen heftig gegen den „dritten Weg“zwischen Groko und Neuwahlen.
CDU wettert gegen SPD-Pläne
„Es gibt nicht nur ein bisschen ‚schwanger sein‘“, bürstete CDU-Vize Julia Klöckner die Schulz-Variante am Dienstag im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“vom Tisch. „Entweder man will regieren oder man will nicht. Wir Christdemokraten wollen eine stabile Regierung oder wir nehmen zur Kenntnis, dass die SPD nicht den Mut zur Regierungsverantwortung hat.“Sachsens designierter Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) warnte: Schulz’ Art, Politik zu machen, möge im EU-Parlament funktionieren, „aber in Deutschland ist sie wirklich gefährlich“. Die SPD solle „zu Seriosität zurückkommen“. Und CSUChef Horst Seehofer brummte, es sei „politisch geboten“, dass „erwachsene Leute mit der notwendigen Disziplin jetzt eine vernünftige Regierung zustande bringen“.
Auch CDU-Bundesvize Thomas Strobl warnte die SPD vor überzogenen Forderungen. „Ich kann dazu bald nur noch sagen: Verhandelt anständig oder lasst es bleiben – aber dieses öffentliche Getöse ist nervtötend“, betonte Strobl, der auch Innenminister in Baden-Württemberg ist, in Stuttgart. „Was ich überhaupt nicht mehr hören kann, ist dieses Rote-Linien-Blabla.“Strobl lobte aber, dass die SPD zumindest darüber nachdenke, ob sie Verantwortung übernehmen wolle. „Schon dieser kleine Schritt, aus der Schmollecke heraus, ist für die SPD offenbar eine Leistung.“
Vor allem aus Sicht der SPD-Linken wäre die „Koko“das Vernünftigste, was Martin Schulz mit der Kanzlerin aushandeln könnte. Aus den Grokos ging die Partei mächtig geschrumpft hervor, manche sehen durch eine Neuauflage von SchwarzRot schon die Existenz der Sozialdemokratie in Gefahr, eine Zustimmung der Mitglieder gilt daher als ungewiss. Nur mit Mühe hatte sich Schulz auf dem SPD-Parteitag vergangene Woche grünes Licht für „ergebnisoffene“Gespräche mit der Kanzlerin erkämpft. CDU, CSU und SPD seien in der gemeinsamen Regierung „als ein einziger, monolithischer Block“wahrgenommen worden, so „Koko“-Vordenker Matthias Miersch, Sprecher der Parlamentarischen Linken. Anträge von Linkspartei und Grünen hätten abgeschmettert werden müssen, „obwohl sie in unserem eigenen Wahlprogramm standen“, wirbt er nun für „Freiheiten“. Kooperation statt Koalition, „das wäre eventuell eine Brücke, über die viele in der SPD gehen könnten“, heißt es in der Fraktion.
Alternative Neuwahlen
Die „Koko“als Befreiungsschlag, mit dem sich Schulz aus der Groko-Falle manövrieren will. Steckt hinter seinem Aufschlag womöglich nur Taktik, um den Preis für eine echte Groko in die Höhe zu treiben, der Basis am Ende zu sagen, er habe alles versucht, um Schwarz-Rot zu vermeiden? Aber wie könnte die Kanzlerin die Kooperationsvariante überhaupt verhindern? Eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen lauten die Alternativen, sollte Schwarz-Rot komplett scheitern.
Mit konkreten Sondierungen wird erst im Januar gerechnet. Mitte oder Ende Januar könnte ein SPDSonderparteitag über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen entscheiden. Am Ende müssten auch die 440 000 SPD-Mitglieder einem Vertrag zustimmen.