Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Der Fahrplan ist dahin
Verzögerung am Stuttgarter Tiefbahnhof wirkt sich bis nach Ulm und an den Bodensee aus
STUTTGART - Schneller vom Bodensee nach Stuttgart, von der Alb an den Flughafen: Wegen dieser Versprechen haben viele Bürger für das umstrittene Bahn-Projekt Stuttgart 21 gestimmt. Doch das soll nach jüngsten Berichten drei Jahre später fertig werden als geplant. Am heutigen Mittwoch bespricht der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn die Probleme. Eine Hiobsbotschaft auch für die Neubaustrecke von Ulm nach Stuttgart.
Bis zu 30 Minuten schneller sollen es ICEs von Ulm nach Stuttgart über die neue Trasse schaffen, und zwar eigentlich ab Dezember 2021. Zeitgleich sollte außerdem die Südbahn elektrifiziert sein. Dann würden moderne E-Loks von Lindau über Ulm nach Stuttgart durchfahren, ebenfalls schneller und häufiger als heute. Den neuen Fahrplan haben Bahn, Land und Kommunen jahrelang ausgetüftelt. Er soll bessere Anbindungen an den Fernverkehr ab Ulm bieten. Die Alb bekommt einen neuen Bahnhof in Merklingen, Kostenpunkt: rund 45 Millionen Euro. Ab Ende 2021 sollen dort Regionalzüge aus Ulm und Stuttgart halten, 1350 Fahrgäste prognostiziert ein Gutachten täglich.
Doch die schönen Pläne sind Makulatur. Die Bauarbeiten für die Neubaustrecke liegen zwar weitgehend im Plan. Sie führt parallel zur Autobahn A 8 über den Flughafen hinab in den Kessel. Doch diese Anbindung gelingt nur, wenn der in den Untergrund verlegte Bahnhof in Stuttgart funktioniert. Frühestens 2024 soll der Tiefbahnhof fertig sein. Kritiker wie der Grünen-Politiker Matthias Gastel warnen sogar: „Nach allem, was ich höre, wird es eher noch später.“Damit läge eine mehr als drei Milliarden Euro teure Bahntrasse ohne Anbindung brach, und zwar mindesten zwei bis drei Jahre. „Tunnels müssen durchlüftet werden, damit sie nicht verfallen. In Berlin fahren deshalb täglich leere S-Bahnen zum unfertigen Flughafen BER“, so Gastel. Das koste schon dort jährlich rund 20 Millionen Euro – die Tunnel auf der Neubautrasse seien erheblich länger.
Aus den schnelleren Fahrzeiten zwischen Stuttgart und Ulm wird also vorerst nichts. Ebenso unwahrscheinlich ist, dass mehr Regionalzüge verkehren. Wann der neue Bahnhof Merklingen angefahren wird, bleibt ungewiss.
Warten auf ein Konzept
„Auf gar keinen Fall darf eine Milliarden teure Infrastruktur Jahre lang brachliegen“, warnt ein Sprecher von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne). „Wir erwarten von der Bahn, dass sie zügig ein Konzept für die Übergangszeit vorlegt.“Die DB untersuche derzeit, welche Möglichkeiten es gebe.
Die Bahn selbst will sich dazu nicht äußern. Sie bestätigt lediglich folgende Option, ohne Details zu nennen: Es gibt eine Verbindung zwischen der neuen Strecke und der alten, die durchs Neckartal führt. Im Albvorlandtunnel bei Wendlingen biegt ein eingleisiger Schienenstrang ins Tal ab. Darüber könnten ICEs und Regionalzüge von neuer auf alte Strecke wechseln – und umgekehrt. Allerdings ist die Kapazität begrenzt: Zwei Züge passen nicht aneinander vorbei, damit kann auch der Tunnel nur eingleisig genutzt werden.
„Aus meiner Sicht wären vier Züge pro Stunde möglich, zwei pro Richtung“, sagt Gastel. Er favorisiert wie der Ulmer SPD-Landtagsabgeordnete Martin Rivoir, diese Kapazitäten vor allem für den Fernverkehr zu nutzen. Damit kämen mehr Fahrgäste in den Genuss einer schnelleren Verbindung. Allerdings würden so wohl höchstens 15 Minuten im Vergleich zu heute gespart, nicht die anvisierten knapp 30. Damit hielten zunächst keine Züge im neuen Bahnhof Merklingen. Er ist für Interregio-Express-Züge gedacht. Deswegen fordert Rivoir: „Wir brauchen einen Pendelverkehr zwischen Ulm und Merklingen. Den muss das Land bezahlen aus Mitteln, die es für den Regionalverkehr bekommt.“
Heiner Scheffold (parteilos), Landrat des Alb-Donau-Kreises, hält Verzögerungen bei einem so komplizierten Bauprojekt wie S 21 zunächst einmal für nachvollziehbar. Dennoch gebe es Auswirkungen auf den Bahnhalt, die Südbahn und nicht zuletzt auf das Buskonzept, das sein Kreis entwickelt, um den Merklinger Bahnhof optimal anzubinden. „Wir setzen darauf, dass das Land kreative Interimskonzepte etabliert und den verkehrlichen Nutzen von Südbahn und Neubaustrecke wenigstens teilweise in Wert setzt“, so Scheffold.
Weniger gelassen reagiert Wilfried Franke, Chef des Interessenverbandes Südbahn, auf die schlechten Nachrichten: „Wir haben ein erhebliches Problem.“Jahrelange Planungen für bessere Verbindungen für Bodenseeregion und Oberschwaben lägen nun auf Eis. Deswegen brauche es Übergangslösungen, doch die zu erarbeiten dauere. „Es ist hohe Zeit, aber noch nicht zu spät. Wir brauchen von der Bahn klare Vorgaben, wie der Fernverkehr in der Übergangszeit aussehen wird, damit wir die Südbahn-Fahrpläne darauf abstimmen können“, fordert Franke.