Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Gericht prüft Tötungsvorsatz
Prozess gegen den 63-Jährigen, der eine Seniorin schwer misshandelt haben soll, wird an das Landgericht übergeben
Prozess gegen 63-Jährigen wird am Landgericht Ravensburg fortgesetzt.
RIEDLINGEN/BIBERACH - Der 63jährige Mann, der im Sommer eine Seniorin in Riedlingen schwer misshandelt und vergewaltigt haben soll, bleibt weiter in Haft. Die Frau ist rund vier Wochen später im Krankenhaus gestorben. Unklar war lange, ob die Misshandlung wirklich zum Tod der 80-Jährigen geführt hat. Der zweite Prozesstag endete abrupt nach der ersten Zeugenbefragung. Richter Ralf Bürglen übergibt den Fall aufgrund neuer Erkenntnisse bezüglich der Schwere der Tat jetzt an das Landgericht Ravensburg.
Den Angehörigen im Gerichtssaal war die Erleichterung im Gesicht anzusehen, als der Richter dem Antrag der Staatsanwältin Tanja Kraemer stattgab. Für viele war es lange Zeit unverständlich, warum der Prozess überhaupt beim Amtsgericht Biberach verhandelt wurde. Die Anklage lautete zunächst nur auf gefährliche Körperverletzung nach §224 STGB, weil die Todesursache zu Beginn nicht eindeutig geklärt werden konnte. Bei einer Verurteilung hätte dem Angeklagten eine Freiheitsstrafe von maximal vier Jahren gedroht. Das Schöffengericht in Biberach hätte weder ein höheres Strafmaß noch die Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus oder eine Sicherungsverwahrung wegen weiterer Gefährdung beantragen können.
Da die Aussagen der Polizisten und Angehörigen schon beim ersten Prozesstag so deutlich übereinstimmten, geht das Gericht davon aus, dass der Angeklagte am Samstag, 24. Juni, gegen 9 Uhr morgens der Seniorin in ihrem Hausflur aufgelauert und sie mehr als eine Stunde schwer misshandelt hat. Die Aussage des damals 62-Jährigen, die Frau sei ganz alleine die Treppe hinunter gestürzt und er habe ihr geholfen, konnte aufgrund der schweren Verletzungen widerlegt werden. Zudem hatte die Seniorin dem Angeklagten schon im März über einen Anwalt mitgeteilt, dass er sich nicht in ihrem Haus aufhalten und nicht übergriffig werden dürfe. Laut einem weiteren Anwaltsschreiben ist belegt, dass der Mann ihr im Juni gedroht habe, sie umzubringen.
Die Aussagen des Angeklagten standen häufig im völligen Gegensatz zu den Berichten der Zeugen. So gab er auch falsche Zahlen bezüglich seiner Rente an, erzählte, dass er sich nicht im Haus der Seniorin aufgehalten habe und schwer krank sowie impotent sei. Der mehrfach vorbestrafte Mann soll nach Zeugenaussagen andere Menschen betrogen und (auch sexuell) bedroht haben. Aufgrund massiver Schwierigkeiten im Umgang mit Wahrheit und Geld hat er seit 2013 eine gesetzliche Betreuerin bekommen, die schon früh einen Antrag auf Unterbringung gestellt hatte. Sie erzählte, dass der Antrag abgelehnt wurde, weil der Angeklagte sich bei der Psychiaterin von seiner besten Seite gezeigt habe.
Oft Angst gehabt
Die Betreuerin fand sehr deutliche Worte für ihn: Er könne sehr charmant sein und gebe Frauen gerne Handküsschen. Auf der anderen Seite sei da ein Mensch, der sich immer wieder über andere beschwere und Lügengeschichten erzähle, um sich selbst in gutes Licht zu rücken. Sie habe oft Angst vor ihm gehabt und ihn, wenn er aggressiv war, nicht alleine in seiner Unterkunft besucht.
Für beide Verhandlungen hat die Justizvollzuganstalt (JVA) Ravensburg für den Angeklagten Fußfesseln sowie polizeiliche Begleitung angeordnet – und das, obwohl dieser mit einem Gehwägelchen im Gerichtssaal erschien. Thomas Mönig, der Leiter der JVA, erklärte, dass die Justiz respektieren müsse, wenn ein Mensch klagt, er könne aus gesundheitlichen Gründen nicht gut laufen. Wenn aber die Tat gleichzeitig eine andere körperliche Voraussetzung erahnen lässt und Fluchtgefahr bestehe, müssten sie auch dafür die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen ergreifen.
Am zweiten Prozesstag wurde im Zeugenstand nochmals die Tochter der Verstorbenen über den Gesundheitszustand ihrer Mutter befragt. Richter Bürglen las auch Details aus älteren Arztberichten vor aus denen hervorging, dass bei der Seniorin keine erkennbaren Grunderkrankungen vorgelegen haben, die zu einem Multiorganversagen hätte führen können. Dies wurde auch durch das medizinische Gutachten von Professor Michael Kramer bestätigt. Demnach habe der Angeklagte der Frau mehrfach in den Bauch geschlagen, sei ihr auf den Bauch gesprungen und habe sie über mehr als eine Stunde so schwer misshandelt, dass sie mit hoher Wahrscheinlichkeit an den Folgen der Gewalteinwirkung gestorben ist.
Bauchschläge als Foltermethode
Im Prozess erklärte Professor Kramer, Schläge in den Bauch würden oft als „Foltermethode“benutzt, da sich auf dem weichen Gewebe des Bauches selten blaue Flecken zeigten und innere Verletzungen leicht übersehen werden könnten. Auch die Ärzte in der Uniklinik haben erst einmal nur die sichtlich schweren Verletzungen des Kopfes sowie der Hals- und Brustwirbelsäule behandelt, bevor sie auf die Bauchsymptome der Seniorin näher eingegangen sind.
Anklage erweitern?
Aus Sicht des Amtsgerichts Biberach liegt bei dem Fall eine Körperverletzung mit Todesfolge nach Paragraf 227 StGB vor, über den das Landgericht Ravensburg weiter entscheiden muss. Richter Bürglen erklärte, dass das Landgericht auch prüfen wird, ob ein Tötungsvorsatz vorliegt und die Anklage dann auf Totschlag oder sogar Mord erweitert wird.
Auch über den Vorwurf der Vergewaltigung wird noch entscheiden. Der Angeklagte sitzt derzeit in der JVA Ravensburg in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft hat einen Antrag an das Oberlandesgericht gestellt, dass der Haftbefehl auch über die Untersuchungshaft hinaus erhalten werden kann. Bis zur Verhandlung beim Landgericht können noch gut zwei bis drei Monate vergehen.