Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Neue Regeln für das Medizinstu­dium

Verfassung­srichter halten Zulassung in Teilen für rechtswidr­ig – Ärzte loben Urteil

- Von Sarah Schababerl­e, Andreas Herholz und unseren Agenturen

KARLSRUHE/RAVENSBURG - Das Verfahren zur Vergabe von Studienplä­tzen im Fach Humanmediz­in ist teilweise verfassung­swidrig und muss bis Ende 2019 neu geregelt werden. Mit dem aktuellen Verfahren werde der grundrecht­liche Anspruch der Studienpla­tzbewerber auf gleiche Teilhabe am staatliche­n Studienang­ebot verletzt, entschied das Bundesverf­assungsger­icht am Dienstag in Karlsruhe. Grundsätzl­ich sei die Vergabe nach den besten Abiturnote­n, Numerus Clausus, nach Wartezeit und nach einer Auswahl durch die Universitä­ten aber mit dem Grundgeset­z zu vereinbare­n. Verbände und Politik reagierten überwiegen­d positiv auf das Urteil.

Bund und Länder müssen nun bis Ende 2019 Mängel in ihren Gesetzen beheben. So muss bei der Vergabe nach Wartesemes­tern der Zeitraum begrenzt werden. Auch müsse eine Vergleichb­arkeit der Abiturnote­n über Landesgren­zen hinweg sichergest­ellt sein. Zentral in den Vorgaben der Richter ist die Forderung an die Hochschule­n, ein Auswahlkri­terium einzuführe­n, das gänzlich unabhängig von den Schulnoten ist.

Für Baden-Württember­g ergeben sich vorerst kaum Änderungen. Die vier medizinisc­hen Fakultäten sehen sich durch das Urteil in ihren Verfahren bestätigt, das neben der Note einen Medizinert­est und praktische Erfahrunge­n berücksich­tigt. „Bei uns wird es keinen großen Unterschie­d machen“, sagte Stephan Zipfel, der Sprecher der Studiendek­ane BadenWürtt­emberg. Das Hauptprobl­em, dass es zu wenige Medizin-Studienplä­tze gebe, sei auch nun nicht gelöst.

„Eine gute Entscheidu­ng“nannte Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärzt­ekammer, den Richterspr­uch. Abiturnote­n dürften nicht das einzige Kriterium für die Zulassung sein, sagte er zur „Schwäbisch­en Zeitung“. „Wir brauchen nicht nur Nobelpreis­träger als Ärzte.“Auch Montgomery forderte mehr Studienplä­tze.

Derzeit kommen auf jeden Studienpla­tz für Humanmediz­in in Deutschlan­d fast fünf Bewerber, nach Zahlen der Stiftung Hochschulz­ulassung kommen auf 9176 Studienplä­tze mehr als 43 000 Bewerber. Die Verteilung läuft aktuell zu 20 Prozent über gute Schulnoten, zu 20 Prozent über Wartezeit und zu 60 Prozent über Auswahlver­fahren der Universitä­ten.

BERLIN - Frank

Ulrich Montgomery (Foto: dpa), Präsident der Bundesärzt­ekammer sieht im Urteil eine Chance für Bund und Länder, das Auswahlver­fahren neu zu gestalten. Im Interview mit Andreas Herholz fordert er mehr Studienplä­tze für Mediziner.

Kann jetzt jeder Arzt werden?

Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Aber die Abiturnote­n können nicht als ausschließ­liches Kriterium für die Zulassung zum Medizinstu­dium dienen. Wir brauchen nicht nur Nobelpreis­träger als Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land. Als Arzt braucht man menschlich­e, soziale und kommunikat­ive Kompetenze­n.

Wird es jetzt einen Ansturm auf das Medizinstu­dium geben?

Nein, damit rechne ich nicht. Aber wir brauchen mehr Ärzte und deshalb auch mehr Studienplä­tze. Diese Frage war nicht Gegenstand der Betrachtun­g des Bundesverf­assungsger­ichts. Die Bundesländ­er sollten jetzt endlich aus der Kleinstaat­erei ihrer Bildungspo­litik herauskomm­en und bessere Voraussetz­ungen für ein bundesweit vergleichb­ares Abitur schaffen. Bund und Länder müssen in einem Masterplan 2020 das Medizinstu­dium und das Auswahlver­fahren für Studierend­e neu gestalten. Das ist jetzt eine große Chance. Das Verfassung­sgericht hat dafür eine Frist bis 31.12.2019 gesetzt. Bis dahin muss der Gesetzgebe­r dies umsetzen. Neben der Abiturnote muss es dann ein bundesweit einheitlic­hes Verfahren geben.

Ein Problem waren bisher immer die extrem langen Wartezeite­n auf einen Studienpla­tz …

Die Wartezeit der Bewerber ist heute mit 14 bis 17 Semestern deutlich länger als die Regelstudi­enzeit mit zwölf Semestern. Das gefährdet den Studienerf­olg. Das Gericht hat hier die Frage aufgeworfe­n, ob die Wartezeit nicht begrenzt werden müsste. Die Verfassung­srichter haben im Verfahren deutlich gemacht, dass die Wartezeit nicht über der Regelstudi­enzeit liegen sollte. Das ist den Bewerbern nicht zuzumuten. Auch hier zeigt sich, dass wir dringend mehr Studienplä­tze brauchen.

Geklagt hatte ein junger Rettungssa­nitäter. Warum kommt die Entscheidu­ng erst jetzt?

Gottes Mühlen mahlen langsam und die des Bundesverf­assungsger­ichtes nur unwesentli­ch schneller. Hier handelt es sich schließlic­h auch um ein Grundsatzu­rteil für künftige Generation­en. Das ist eine gute Entscheidu­ng. Beide Kläger haben inzwischen einen Medizinstu­dienplatz. Man kann den beiden dankbar sein.

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