Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Neue Regeln für das Medizinstudium
Verfassungsrichter halten Zulassung in Teilen für rechtswidrig – Ärzte loben Urteil
KARLSRUHE/RAVENSBURG - Das Verfahren zur Vergabe von Studienplätzen im Fach Humanmedizin ist teilweise verfassungswidrig und muss bis Ende 2019 neu geregelt werden. Mit dem aktuellen Verfahren werde der grundrechtliche Anspruch der Studienplatzbewerber auf gleiche Teilhabe am staatlichen Studienangebot verletzt, entschied das Bundesverfassungsgericht am Dienstag in Karlsruhe. Grundsätzlich sei die Vergabe nach den besten Abiturnoten, Numerus Clausus, nach Wartezeit und nach einer Auswahl durch die Universitäten aber mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Verbände und Politik reagierten überwiegend positiv auf das Urteil.
Bund und Länder müssen nun bis Ende 2019 Mängel in ihren Gesetzen beheben. So muss bei der Vergabe nach Wartesemestern der Zeitraum begrenzt werden. Auch müsse eine Vergleichbarkeit der Abiturnoten über Landesgrenzen hinweg sichergestellt sein. Zentral in den Vorgaben der Richter ist die Forderung an die Hochschulen, ein Auswahlkriterium einzuführen, das gänzlich unabhängig von den Schulnoten ist.
Für Baden-Württemberg ergeben sich vorerst kaum Änderungen. Die vier medizinischen Fakultäten sehen sich durch das Urteil in ihren Verfahren bestätigt, das neben der Note einen Medizinertest und praktische Erfahrungen berücksichtigt. „Bei uns wird es keinen großen Unterschied machen“, sagte Stephan Zipfel, der Sprecher der Studiendekane BadenWürttemberg. Das Hauptproblem, dass es zu wenige Medizin-Studienplätze gebe, sei auch nun nicht gelöst.
„Eine gute Entscheidung“nannte Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer, den Richterspruch. Abiturnoten dürften nicht das einzige Kriterium für die Zulassung sein, sagte er zur „Schwäbischen Zeitung“. „Wir brauchen nicht nur Nobelpreisträger als Ärzte.“Auch Montgomery forderte mehr Studienplätze.
Derzeit kommen auf jeden Studienplatz für Humanmedizin in Deutschland fast fünf Bewerber, nach Zahlen der Stiftung Hochschulzulassung kommen auf 9176 Studienplätze mehr als 43 000 Bewerber. Die Verteilung läuft aktuell zu 20 Prozent über gute Schulnoten, zu 20 Prozent über Wartezeit und zu 60 Prozent über Auswahlverfahren der Universitäten.
BERLIN - Frank
Ulrich Montgomery (Foto: dpa), Präsident der Bundesärztekammer sieht im Urteil eine Chance für Bund und Länder, das Auswahlverfahren neu zu gestalten. Im Interview mit Andreas Herholz fordert er mehr Studienplätze für Mediziner.
Kann jetzt jeder Arzt werden?
Nein, die Gefahr sehe ich nicht. Aber die Abiturnoten können nicht als ausschließliches Kriterium für die Zulassung zum Medizinstudium dienen. Wir brauchen nicht nur Nobelpreisträger als Ärzte. Wir brauchen Menschen, die andere Menschen versorgen wollen, wie etwa Ärzte auf dem Land. Als Arzt braucht man menschliche, soziale und kommunikative Kompetenzen.
Wird es jetzt einen Ansturm auf das Medizinstudium geben?
Nein, damit rechne ich nicht. Aber wir brauchen mehr Ärzte und deshalb auch mehr Studienplätze. Diese Frage war nicht Gegenstand der Betrachtung des Bundesverfassungsgerichts. Die Bundesländer sollten jetzt endlich aus der Kleinstaaterei ihrer Bildungspolitik herauskommen und bessere Voraussetzungen für ein bundesweit vergleichbares Abitur schaffen. Bund und Länder müssen in einem Masterplan 2020 das Medizinstudium und das Auswahlverfahren für Studierende neu gestalten. Das ist jetzt eine große Chance. Das Verfassungsgericht hat dafür eine Frist bis 31.12.2019 gesetzt. Bis dahin muss der Gesetzgeber dies umsetzen. Neben der Abiturnote muss es dann ein bundesweit einheitliches Verfahren geben.
Ein Problem waren bisher immer die extrem langen Wartezeiten auf einen Studienplatz …
Die Wartezeit der Bewerber ist heute mit 14 bis 17 Semestern deutlich länger als die Regelstudienzeit mit zwölf Semestern. Das gefährdet den Studienerfolg. Das Gericht hat hier die Frage aufgeworfen, ob die Wartezeit nicht begrenzt werden müsste. Die Verfassungsrichter haben im Verfahren deutlich gemacht, dass die Wartezeit nicht über der Regelstudienzeit liegen sollte. Das ist den Bewerbern nicht zuzumuten. Auch hier zeigt sich, dass wir dringend mehr Studienplätze brauchen.
Geklagt hatte ein junger Rettungssanitäter. Warum kommt die Entscheidung erst jetzt?
Gottes Mühlen mahlen langsam und die des Bundesverfassungsgerichtes nur unwesentlich schneller. Hier handelt es sich schließlich auch um ein Grundsatzurteil für künftige Generationen. Das ist eine gute Entscheidung. Beide Kläger haben inzwischen einen Medizinstudienplatz. Man kann den beiden dankbar sein.