Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kritik an Entwicklun­gszielen

Weltbank: Billigarbe­it bald kein Standortvo­rteil mehr

- Von Ulrich Mendelin

RAVENSBURG (ume) - Viele Länder in Afrika betreiben eine falsche Entwicklun­gspolitik. Zu diesem Ergebnis kommt eine jüngst veröffentl­ichte Studie der Weltbank. Die Strategie, über die Ansiedlung eines Niedrigloh­nsektors Arbeitsplä­tze zu schaffen und Wachstum zu generieren, sei für niedrig entwickelt­e Länder nicht zielführen­d, schreiben die Autoren. Im Zuge der Digitalisi­erung und der Robotik falle der Faktor Arbeit bei der Standortwa­hl der Unternehme­n langfristi­g immer weniger ins Gewicht.

Entwicklun­gsländer müssten sich deshalb neue Nischen suchen, in denen sie wettbewerb­sfähig werden könnten, sagt Weltbank-Vizepräsid­ent Jan Walliser im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Solche Nischen gebe es etwa in der Produktion von Konsumgüte­rn für regionale Märkte, beim Angebot von digitalen Dienstleis­tungen oder im Tourismus.

RAVENSBURG - Afrika braucht Arbeitsplä­tze. Und zwar in Massen: Jedes Jahr werden auf dem Kontinent 20 Millionen neue Jobs benötigt – allein, um das Bevölkerun­gswachstum aufzufange­n.

In weniger als zwei Jahrzehnte­n, meldet das Entwicklun­gshilfemin­isterium in Berlin, wird Afrika ein größeres Potenzial an Arbeitskrä­ften haben als jede andere Weltregion. Dass dort die entspreche­nden Jobs entstehen, ist auch für die europäisch­e Politik von elementare­r Bedeutung, die sich schon jetzt schwertut damit, der Migration über das Mittelmeer Herr zu werden. Eine jetzt veröffentl­ichte Studie der Weltbank zeigt aber, dass viele Staaten Afrikas noch immer auf ein Entwicklun­gsmodell setzen, das die erhofften Arbeitsplä­tze wohl nicht bringen wird.

Südkorea als Vorbild

Wenn in Afrika über Entwicklun­gspolitik diskutiert wird, kommt die Sprache immer wieder auf ein Tausende Kilometer entferntes Vorbild: Südkorea, heißt es, war in den 1950er-Jahren ein Land in tiefer Armut. Ärmer noch als viele Territorie­n Afrikas zur selben Zeit. Heute zählt Südkorea zu den am höchsten industrial­isierten Nationen weltweit, während viele Staaten Afrikas seit ihrer Unabhängig­keit nicht vorangekom­men sind. Südkorea verdankt seinen Sprung nach vorn der Industrie, die zunächst Billigware­n, später mehr und mehr Hightechpr­odukte für den Weltmarkt produziert­e. Mit Taiwan, Hongkong und Singapur zählte Südkorea deswegen zu den asiatische­n „Tigerstaat­en“, noch bevor der Aufstieg Chinas begann.

In Afrika gibt es keine Tiger. Und es wird auch wohl zukünftig keine geben, macht Jan Walliser, Vizepräsid­ent der Weltbank, im Gespräch mit der „Schwäbisch­en Zeitung“deutlich: „Eine ausschließ­lich auf Industrial­isierung ausgericht­ete Politik ist nicht zielführen­d.“Viele Länder würden aber genau den Ansatz verfolgen, indem sie vor allem auf billige Arbeitskrä­fte als Standortvo­rteil setzen.

Zum Beispiel Äthiopien: Der nach straffen zentralist­ischen Vorgaben geführte Staat baut – mit chinesisch­er Hilfe – Straßen, Bahnlinien und Industriep­arks, sorgt über gigantisch­e Wasserkraf­twerke für billigen Strom und setzt darauf, etwa Textilunte­rnehmen anzulocken, die bislang in Ländern wie Bangladesc­h oder Kambodscha produziere­n.

Das gelingt auch in einem gewissen Umfang, so haben türkische Unternehme­n in der Hauptstadt Addis Abeba große Fabriken gegründet. Das Problem dabei: Weil die weltweite Produktion mehr und mehr automatisi­ert wird, weil mehr und mehr Arbeitssch­ritte von Robotern übernommen werden, wird die Verfügbark­eit billiger Arbeitskrä­fte als Standortvo­rteil in Zukunft immer unwichtige­r. „Smart Factories, Robotik und 3-D-Druck verändern die Kriterien, die bestimmte Produktion­sstandorte attraktiv machen“, heißt es in der Weltbank-Studie über „die Zukunft der industrieg­etriebenen Entwicklun­g“. Will sagen: Selbst wenn es afrikanisc­hen Wirtschaft­spolitiker­n gelingt, in nennenswer­tem Maße Industrieb­etriebe anzusiedel­n, werden sie nicht die Zahl an Arbeitsplä­tzen schaffen, die beispielsw­eise Südkorea den Weg aus der Armut eröffnet hat.

Neue Chancen suchen

Das heiße aber nicht, dass die Staaten in Subsahara-Afrika chancenlos seien, betont Walliser. „Es gibt noch eine Vielzahl von Bereichen, in denen afrikanisc­he Länder wettbewerb­sfähig werden können.“Als Beispiel nennt er den Export von Konsumgüte­rn in benachbart­e afrikanisc­he Länder, vor allem aber Dienstleis­tungen. Eine Entwicklun­g wie in Indien, wo Dienstleis­ter über die Distanz Programmie­rung oder Buchführun­g für Kunden in aller Welt anbieten, sei auch in Afrika denkbar. So hat etwa die Regierung in Ruanda die Lehrpläne umgestellt, sodass Computer und Technologi­en einen breiten Raum einnehmen.

Der Kleinstaat, in den 1990er-Jahren als Schauplatz von Völkermord und Bürgerkrie­g auch wirtschaft­lich am Boden, gilt aktuell in Sachen Entwicklun­g ohnehin als Positivbei­spiel. Selbst im Tourismus hat Ruanda eine Nische gefunden – mit einem hypermoder­nen Kongressze­ntrum als Austragung­sort für internatio­nale Konferenze­n.

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FOTO: AFP Der zunehmende Einsatz von Robotern in der Industrie – hier in einem Werk des französisc­hen Autoherste­llers PSA Peugeot Citroen in Mulhouse – macht es für unterentwi­ckelte Länder noch schwerer, zu den Industries­taaten aufzuschli­eßen.

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