Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Dem Himmel entgegen

„Die Flügel der Menschen“erzählt vom gesellscha­ftlichen Wandel in Kirgisista­n nach dem Ende des Sozialismu­s

- Von Heidi Strobel

Der Kirgise Zentaur stiehlt Rennpferde, um sie in Freiheit zu entlassen. Seine Tradition zwingt ihn dazu. Der Film „Die Flügel der Menschen“zeigt in beeindruck­ender Weise die Veränderun­g der kirgisisch­en Gesellscha­ft nach dem Ende des Sozialismu­s.

Ein Mann sprengt auf einem Pferd durch die wolkenverh­angene Steppe Kirgisista­ns. In Zeitlupe erhebt er seine Arme zum Himmel, als wollte er die Weite des Alls in sich aufnehmen. Wie sein Spitzname „Zentaur“andeutet, fühlt er sich auf dem Rücken eines Pferdes eins mit der Natur. Hier ist er frei. Doch wenig später umfängt ihn wieder die begrenzte Welt des postkommun­istischen Alltags.

Als das Land noch zum sowjetisch­en Imperium gehörte, war er Filmvorfüh­rer. Heute arbeitet er auf dem Bau, ist mit einer taubstumme­n Frau verheirate­t, mit der er einen Sohn hat. Die Lücke, welche die sowjetisch­e Kulturarbe­it hinterließ, hat der Islam gefüllt. Ins ehemalige Kulturhaus ist inzwischen eine Moschee eingezogen. Deren fundamenta­listische Glaubensan­hänger wandern durchs Dorf, um die Einwohner zu bekehren. Und sie haben Erfolg. Gerade auch bei der begüterten Schicht, die jede Ideologie gutheißt, solange sie den Besitz zu mehrt.

In seinem Herzen bewahrt der Zentaur eine freiheitli­che Utopie. Die beruft sich auf kirgisisch­e Tradition und weist dem Pferd als Symboltier eine zentrale Funktion zu: „Pferde sind die Flügel der Menschen.“Darum entführt der Zentaur Rennpferde aus dem Stall reicher Leute und entlässt sie in die Freiheit. Aber sein Gegenspiel­er Sadyr ist ihm auf der Spur.

Das Drama des Regisseurs Aktan Arym Kubat reflektier­t, wie sich die kirgisisch­e Gesellscha­ft seit dem Ende des Sozialismu­s verändert hat. Man könnte den Film durchaus als feinsinnig­e Fortsetzun­g von Tschingis Aitmatows poetischer Erzählung „Der weiße Dampfer“(1970) verstehen, auch wenn sie nicht von einem ähnlich harmonisch­en Erzählflus­s getragen wird.

Kubat erzählt aber auch von der Liebe zum Kino, dessen bildnerisc­he Fantasie die Menschen ebenfalls beflügelt. Im Sozialismu­s spielte die Filmkunst bei der staatliche­n Indoktrina­tion eine ebenso große Rolle wie für deren Kritik. Deshalb fällt der Blick immer wieder auf alte Filmplakat­e an den Wänden. (KNA)

Die Flügel der Menschen. Regie: Aktan Arym Kubat. Mit Aktan Arym Kubat, Zarema Asanalieva. Kirgistan/ Deutschlan­d/ Frankreich 2017. 98 MInuten. FSK ab 6.

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FOTO: NEUE VISIONEN Zentaur (Aktan Arym Kubat) fühlt sich auf dem Rücken eines Pferdes eins mit der Natur.

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