Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Ich konnte es nicht anders ertragen“
Vor Gericht muss sich eine ehemalige Alkoholabhängige für vier Delikte verantworten
SIGMARINGEN - Zum wiederholten Male mit einer Bewährungsstrafe davongekommen ist eine 49-Jährige Einwohnerin einer Alb-Gemeinde. Sie ist am Montag vom Amtsgericht Sigmaringen zu zwei Haftstrafen von drei und vier Monaten auf Bewährung für vier verschiedene Delikte verurteilt worden, die sie unter erheblichem Alkoholeinfluss verübt hatte. Die mittlerweile trockene Alkoholikerin konnte sich an keine einzige Tat mehr erinnern. „Es wird schon stimmen“, räumte sie reumütig ein, „das ist so peinlich. Es tut mir leid.“Sie hatte wiederholt gegen laufende Bewährungsauflagen verstoßen.
In einer Tateinheit musste sie sich wegen Körperverletzung und Beleidigung verantworten: Am 1. April 2017 wollte sie sich in stark alkoholisiertem Zustand am Bahnhof Burladingen auf die Gleise begeben. Zeugen versuchten, sie davon abzuhalten, mussten aber wegen des aggressiven Auftretens der Angeklagten die Polizei rufen. Die Beamten, die von der Angeklagten beleidigt wurden, legten dieser Handschellen an, beim Versuch, diese nachzujustieren, biss die 49-Jährige einem Polizeibeamten in die Achsel, wodurch ein heftiger, acht Zentimeter großer Bluterguss entstand. Zudem biss sie einem weiteren Zeugen in den Arm.
Am 20. April hatte die Angeklagte in Gammertingen eine Delle in einen Passat getreten, nachdem dessen Besitzer sie und ihren Mann, beide betrunken, nicht mitnehmen wollte. Zudem beschimpfte sie den fremden Fahrzeughalter und bezichtigte diesen, sie vergewaltigen zu wollen. Am 17. Mai hatte sie außerdem in Neufra im Zug einen Schaffner, der sie daran hindern wollte, aus dem fahrenden Zug zu steigen, das Gesicht und den Arm zerkratzt und diesen beleidigt. Der Zug musste ihretwegen außerplanmäßig anhalten. Nur wenige Wochen danach, am 22. Mai 2017, stahl die betrunkene Angeklagte sieben Herrenunterhosen im NKD in Gammertingen, die später bei ihr gefunden wurden.
Eine Vernehmung war schwer möglich: „Ich kann mich an nichts mehr erinnern, ich hatte einen Filmriss“, sagte die gelernte Altenpflegerin immer wieder, selbst schockiert über ihr eigenes Verhalten. Der Alkohol sei schuld. Zusammen mit ihrem Mann hätte sie regelmäßig Wodka getrunken, mindestens eine Flasche pro Tag – einmal wurden bei ihr 2,7 Promille gemessen. „Er hat mich damit angesteckt“, so die 49-Jährige, deren Schilderungen eine unglückliche Ehe nahelegen. „Ich konnte es nicht anders ertragen.“
Entgiftungskur liegt hinter ihr
Aufgrund einer chronischen Erkrankung ist die 49-Jährige zudem auf starke Medikamente wie Morphium angewiesen und seit 15 Jahren arbeitsunfähig. Im September unterzog sie sich einer sechswöchigen Entgiftungskur, nahm außerdem Beratungstermine bei der Suchtberatung wahr. Ihr Mann sei im Herbst verstorben – alkoholbedingt an multiplem Organversagen. Für die Angeklagte sei dies ein Schock gewesen. „Ich bin trotzdem nicht rückfällig geworden“, so die Frau. „Ich habe zwar daran gedacht, es aber nicht gemacht.“
Mittlerweile verspüre sie nicht einmal mehr den Drang, Alkohol zu trinken. Sie gab an, bald eine Therapie machen zu wollen.
Laut Richterin würden sich ihre Geständigkeit und der Verzicht auf Alkohol auf das Urteil strafmildernd auswirken, außerdem sei die schwierige Lebenssituation der Angeklagten zu berücksichtigen. „Komplett schuldunfähig“sei die Angeklagte jedoch nicht, allein schon, weil sie sich im Rausch noch artikulieren konnte. Unter „größten Bedenken“und als „allerletzte Chance“würde die Strafe zur Bewährung ausgesetzt.
Gegen die Angeklagte sprach das einschlägige Vorstrafenregister mit 22 Eintragungen, wobei bei den meisten Taten vermutlich Alkohol im Spiel gewesen sein dürfte. Ins Urteil flossen noch zwei ältere, zur Bewährung ausgesprochene Haftstrafen ein, die noch nicht abgegolten waren.
„Das nächste Mal fahren Sie ein, und wenn sie nur einen Kaugummi einstecken!“, drohte die Richterin. Bis Ablauf ihrer neuen Bewährungsfrist muss die 49-Jährige regelmäßig Urinproben abgeben, um nachzuweisen, keinen Alkohol mehr zu trinken.