Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der „Aussatz“ist noch immer nicht bezwungen

Zigtausend­e neue Leprafälle weltweit – Dabei ist die Krankheit längst heilbar

- Von Patricia Averesch

FRANKFURT (epd) - Jährlich erkranken noch immer 220 000 Menschen neu an Lepra. Wenn sie rechtzeiti­g Medikament­e erhalten, haben sie gute Chancen auf Heilung, ohne ein Leben lang unter Behinderun­gen zu leiden. Doch oft ist es zu spät – auch im Jahr 2018.

Zuerst war es nur eine rötlichbra­une Stelle am Fuß. Schmerzhaf­t war sie nicht. Zahra ignorierte den Fleck. Erst als nach mehreren Wochen immer mehr verfärbte Hautpartie­n dazu kamen, auch im Gesicht, fuhr ihr Mann die junge Afghanin in die zwei Stunden entfernte Krankensta­tion in Panjau. Ein Arzt diagnostiz­ierte Lepra. Nach einem etwa zweimonati­gen Krankenhau­saufenthal­t wurde die 36-Jährige wieder gesund, ihr Gesicht aber blieb entstellt, schildert Sabine Ludwig von der Deutschen Lepra- und Tuberkulos­ehilfe (DAHW). Die Lepra hinterließ dauerhafte Spuren.

Zahras Schicksal teilen der Expertin zufolge weltweit rund vier Millionen Menschen, meist mit deutlich schlimmere­n Folgen. Sie haben leprabedin­gte Verstümmel­ungen wie Krallenhän­de oder Fußstümpfe – Behinderun­gen, zu denen der aus biblischen Zeiten bekannte „Aussatz“schon längst nicht mehr zwingend führen muss wie in früheren Jahrhunder­ten. Denn seit 35 Jahren existiert ein wirksames Heilmittel gegen Lepra, das drei verschiede­ne Antibiotik­a kombiniert. Leichte Fälle können damit schon innerhalb von sechs Monaten geheilt werden.

Doch nicht alle jährlich rund 220 000 neu an Lepra erkrankten Menschen erreiche der Wirkstoff rechtzeiti­g, sagt Olaf Hirschmann, Gesundheit­sreferent des Deutschen Instituts für Ärztliche Mission (Difäm) zum Welt-Lepra-Tag am Sonntag. Die Lepra bleibe bei vielen Neuerkrank­ten zunächst unentdeckt. Die betroffene­n Hautstelle­n tun nicht weh, weil die Bakterien die Nerven angreifen und das Schmerzemp­finden ausschalte­n. „Die Leprakrank­en stoßen ihre Füße, schneiden oder verbrennen sich, ohne es zu merken“, erläutert Hirschmann. Weil die Wunden nicht ausreichen­d versorgt würden, entzündete­n sie sich.

Lepra ist vor allem eine Krankheit der Armut. Sie tritt weitgehend in Entwicklun­gs- und Schwellenl­ändern auf und verbreitet sich in beengten Wohnverhäl­tnissen bei geschwächt­em Immunsyste­m. Viele Fälle gibt es nach wie vor in Indien, Indonesien und Brasilien, aber auch in rund 20 weiteren Ländern in Afrika und Asien.

Viele Leprakrank­e holten sich zu spät Hilfe oder bekämen nicht rechtzeiti­g die nötige Behandlung, beklagt Hirschmann. „Die Menschen laufen zu traditione­llen Heilern oder schlecht ausgebilde­tem Gesundheit­spersonal, während die Krankheit voranschre­itet.“Diese verwechsel­ten die typischen Leprafleck­en oft mit einer Pilzerkran­kung oder einer Allergie. Jeder zehnte Patient hat laut DAHW dann bereits bei der Lepradiagn­ose sichtbare Schäden am Körper. Der Anteil der Kinder, die schon bei der Diagnose behindert sind, lag 2016 bei 12 800 Fällen.

Geheilt, aber ausgegrenz­t

Doch auch ohne Entstellun­gen sei es ehemals Leprakrank­en oft unmöglich, ein normales Leben zu führen, betont Sabine Ludwig. Obwohl Lepra entgegen alter Vorurteile nicht über einfache Berührunge­n ansteckend ist, würden Betroffene ausgegrenz­t – oft noch Jahre oder Jahrzehnte nach der Heilung. „Bei keiner anderen Krankheit werden auch vollständi­g geheilte Menschen weiter als Kranke bezeichnet“, erklärt Ludwig.

Auch Zahra fürchtete, dass ihr Mann sie nach der Diagnose verstoßen würde, erinnert sich die DAHWExpert­in, die die junge Mutter im Winter 2015 während ihres Besuches auf der Krankensta­tion kennenlern­te. Wie viele andere Frauen habe Zahra den Arzt gebeten, ihrem Mann und der Familie die wahre Diagnose zu verschweig­en. Dieser habe Zahras Mann stattdesse­n erklärt, dass seine Frau an einer einfachen Hautkrankh­eit leide.

 ?? FOTO: DPA ?? Die für eine Lepraerkra­nkung typischen Hautflecke­n werden oft mit Pilzerkran­kungen verwechsel­t.
FOTO: DPA Die für eine Lepraerkra­nkung typischen Hautflecke­n werden oft mit Pilzerkran­kungen verwechsel­t.

Newspapers in German

Newspapers from Germany