Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Streit um Zuwanderung beigelegt
Union und SPD erzielen Einigung – Milliardenschwerer Kompromiss bei der Bildung
BERLIN/STUTTGART - Auf der Zielgeraden ihrer Koalitionsverhandlungen haben Union und SPD letzte Streitpunkte in der Migrations- und Flüchtlingspolitik abgeräumt. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am späten Freitagabend aus Verhandlungskreisen. Demnach wurden in der großen Verhandlungsrunde auch letzte Dissenspunkte über die Auslegung eines Maximalwerts für die Zuwanderungszahlen beigelegt. Es bleibe bei den Verabredungen aus dem gemeinsamen Sondierungspapier, hieß es.
Zuvor hatte die SPD gefordert, dass die Spanne von jährlich 180 000 bis 220 000 Zuwanderern im Koalitionsvertrag als rein beschreibende, aber nicht begrenzende Formulierung festgehalten werden sollte. Die Union war dagegen von einem Zielkorridor ausgegangen, der den Maximalwert darstellt und nicht überschritten werden sollte. Vor allem die CSU, aber auch weite Teile der CDU bestanden darauf, dass der Akzent auf Begrenzung liegt.
In anderen Bereichen sind sich die Unterhändler dagegen weitgehend einig, etwa bei der Wirtschafts-, Gesundheits-, Verkehrsund Innenpolitik. Die wichtigste Einigung betrifft ein milliardenschweres Bildungspaket. Zwei Milliarden Euro sind für den Ausbau von Ganztagsschulen und Ganztagsbetreuung geplant. Für die Ganztagsbetreuung von Grundschülern wird ein Rechtsanspruch verankert. Außerdem sind eine Milliarde Euro für eine BafögReform, 600 Millionen Euro für eine bessere Ausstattung der Universitäten und fünf Milliarden Euro für den „Digitalpakt“für Schulen geplant.
In Teilen fallen soll das sogenannte Kooperationsverbot. Dem Bund wäre dann die Finanzierung von Schulen in den Ländern möglich. Bislang durfte Berlin nur finanzschwache Gemeinden finanziell unterstützen. Ein Bekenntnis zu bundesweit einheitlichen Bildungsstandards fehlt in dem Papier jedoch.
Baden-Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann (CDU) warnte am Freitag davor, dem Bund zu viele Kompetenzen zu übertragen. Sie kenne „keine stichhaltigen Argumente, wieso der Bund auf einmal eine bessere Bildungspolitik im Hinblick auf Inhalte und Qualität machen sollte als die Länder“. Sie betonte, das Papier von CDU, CSU und SPD wolle das Kooperationsverbot keineswegs abschaffen. Es handle sich nur um eine Präzisierung, die es dem Bund erlaube, auch finanzstarken Kommunen Geld zu geben. Sie forderte aber: „Es muss eine Belohnung für gute Finanzpolitik geben, keine Ausschüttungen für Länder, die schlicht Investitionen versäumt haben.“Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) ist ein strikter Gegner aller Versuche des Bundes, sich in die Bildungshoheit der Bundesländer einzumischen. Eine Änderung des Grundgesetzes in diesem Punkt lehnt er kategorisch ab.
BERLIN - Während Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident aus Nordrhein-Westfalen, gerade vor den Mikrofonen steht und über die neuesten GroKo-Ergebnisse berichtet, huscht sein baden-württembergischer Kollege Winfried Kretschmann im Hintergrund in den Bundesrat. Kein Journalist stürzt sich auf ihn, zurzeit ist er in Berlin nicht so gefragt.
Seit das Ende der Jamaika-Verhandlungen vor den Türen der Vertretung Baden-Württembergs verkündet wurde, rückt Kreschtmann, Deutschlands beliebtester Ministerpräsident, wieder mehr in den Hintergrund.
Angesichts der Verhandlungen über die GroKo sind es zurzeit seine Kollegen von SPD und Union, die gefragt sind. Bis auf Kretschmann (Grüne) und den Thüringer Kollegen Bodo Ramelow (Linke) kommen alle Ministerpräsidenten von der Union oder SPD. In manchen Dingen erleichtert das die Verhandlungen gegenüber dem zuerst angepeilten Bündnis von CDU, FDP und Grünen.
So hieß es zum Beispiel beim Thema Kooperationsverbot, dass man sich ohne Kretschmann schneller einigen konnte. Der habe am meisten gebremst, auch wenn die CDU ebenfalls große Bedenken gegen Lockerungsübungen in der Bildungspolitik hatte.
Alle CDU- und SPD-Ministerpräsidenten sind bei den Koalitionsverhandlungen eingebunden – und Horst Seehofer (CSU) gehört als Parteichef sogar zu den Verhandlungsführern. In der SPD ist es besonders Manuela Schwesig, bei der CDU vor allem Annegret Kramp-Karrenbauer und Volker Bouffier, die die neuen Zwischenstände durchgeben und kommentieren.
Der Einfluss der Ministerpräsidenten wächst angesichts der Koalitionsverhandlungen. Denn sie sind es, die in ihren Ländern schon lange das Kunststück vollbringen, mit den unterschiedlichsten Farbkombinationen klarzukommen.
Zwölf Farbkombis
Der Bundesrat ist mittlerweile so bunt wie eine Tüte Gummibärchen. Genau zwölf verschiedene Farbkombinationen gibt es in Deutschlands Ländern. Zwei Große Koalitionen, zweimal Rot-Grün, zweimal RotLinks, zweimal Schwarz-Grün. Die anderen Bündnisse sind einmalig – Grün-Schwarz in Baden-Württemberg, Rot-Rot-Grün in Thüringen, die Ampel in Rheinland-Pfalz und Jamaika in Schleswig-Holstein. 16:0, wie jetzt bei der Abstimmung über die Parteienfinanzierung der NPD, geht es deshalb nur selten aus.
Schwindet die Macht der Grünen, wenn sie in der Bundesregierung nicht vertreten sind? In Niedersachsen gehören sie nicht mehr der Regierung an, und auch Baden-Württemberg scheint in jüngster Zeit irgendwie stumm geworden zu sein auf Bundesebene. Doch das kann auch nur eine Momentaufnahme sein.
Denn insgesamt sind die Grünen an zehn Landesregierungen beteiligt und können gut über Bande spielen. So treffen sie sich in Berlin am Abend vor dem Bundesrat am grünen Kamin, und auch wenn Baden-Württemberg an der B-Runde teilnimmt, dem Lager der unionsgeführten Länder, können die Grünen doch auch Spaltpilz im Bundesrat spielen. Bei Fragen wie den sicheren Herkunftsländern zeigte sich das bereits.
Allerdings gilt für alle: Der Bundesrat ist so bunt geworden, dass er, wie ein Minister seufzte, „kaum noch zu überschauen“ist. Das wiederum könnte den Ländern zugute kommen, ihre Interessen gegen den Bund in unerwarteten Allianzen durchzusetzen.