Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Quecksilbe­r-Täter bleibt auf freiem Fuß

Rentner erhält zweijährig­e Bewährungs­strafe – Ärztin stellt erhöhte Belastung bei Kindern fest

- Von Simon Siman

HECHINGEN - Am Ende war das Urteil nur noch Formsache. Nachdem der 70-jährige Rentner am ersten Prozesstag seine Tat gestanden hatte, einigten sich alle Beteiligte­n darauf, von einer Gefängniss­trafe abzusehen. Die zweijährig­e Haftstrafe für schwere Gefährdung durch Freisetzun­g von Giften wurde gestern vom Hechinger Landgerich­t auf Bewährung ausgesetzt. Der siebenfach vorbestraf­te Mann löste in seiner ehemaligen Wohnung in Gammerting­en Quecksilbe­r aus silberhalt­igem Amalgam im Schwedenof­en. Dieses wollte er verkaufen. Durch die hochgiftig­en Dämpfe wurde das gesamte Gebäude kontaminie­rt und ist mittlerwei­le unbewohnba­r (die SZ berichtete mehrfach).

In der Strafsache gegen den 70Jährigen hat es sich am zweiten Prozesstag nicht mehr um ein streitiges Verfahren gehandelt. Der Angeklagte legte bereits zu Beginn des Prozesses ein Geständnis ab und musste somit nicht mehr überführt werden. Sein Verteidige­r, Nikolai Odebralski aus Essen, handelte durch die Vereinbaru­ng eine Bewährungs­strafe für seinen Mandanten aus. Das gängige Strafmaß liegt zwischen einem und zehn Jahren Gefängnis.

Gestern ging es nur noch um einen Vergleich hinsichtli­ch der Schadenser­satzansprü­che für die geschädigt­e Familie. Sie hatte im selben Haus mit dem Angeklagte­n an der Hohenzolle­rnstraße in Gammerting­en gewohnt. In den Urinproben der Familie wurden Quecksilbe­r-Belastunge­n festgestel­lt; bei den beiden Kindern fand man das Gift sogar im Blut. „Lediglich die Belastungs­werte der Kinder liegen im Zwischenbe­reich der Grenzwerte für eine gesundheit­liche Gefährdung“, sagte die Gerichtsme­dizinerin und Sachverstä­ndige.

Über den Grenzwerte­n und damit im kritischen Bereich für eine gesundheit­liche Gefährdung liege lediglich die Quecksilbe­r-Belastung der Frau des Angeklagte­n. Der Streitwert für die Kosten und Schmerzens­geldansprü­che der Familie wurde im Verfahren auf mehr als 88 000 Euro festgelegt. Ein symbolisch­er Wert für die Anklage, da der 70-jährige Mann weniger als 500 Euro Rente pro Monat beziehe. Für die Kosten kann er nicht aufkommen. „Die Versicheru­ng der Familie hat eine Klausel und wird vermutlich für die Zahlungsan­sprüche aufkommen“; sagte Oberstaats­anwalt Jens Gruhl nach dem Prozess auf Anfrage der SZ.

Der Richter und Vizepräsid­ent des Landgerich­ts Hechingen, Hannes Breucker, richtete in seiner Urteilsver­kündung persönlich­e Worte an den Angeklagte­n. Dieser sei vor Gericht geständig, authentisc­h und ehrlich aufgetrete­n und entspreche­nd wolle auch er ehrlich zu ihm sein: „Die Staatsanwa­ltschaft und das Gericht haben hier nach Augenmaß entschiede­n und geurteilt. In anderen vergleichb­aren Fällen wäre das Strafmaß sicherlich höher ausgefalle­n.“Die vier Mitglieder der großen Strafkamme­r zeigten sich überzeugt davon, dass der 70-Jährige nicht mehr straffälli­g werde und somit eine Bewährungs­strafe ausreichen­d sei. „Wir wollten Sie hier nicht ruinieren“, sagte Breucker.

Das Schicksal der Hauseigent­ümer sei dem Gericht durchaus bewusst gewesen und nicht außer Acht gelassen worden, sagte der Richter. „Wir können hier aber nicht alles bereinigen.“Nach dem Urteil ordnete Breucker seine Ausführung­en gegenüber der SZ ein: „Der Mann ist 70 Jahre alt, saß 24 Jahre seines Lebens im Gefängnis und hat eine schwerkran­ke Frau. Wir denken, dass er keine Veranlassu­ng mehr dazu hat, erneut kriminell in Erscheinun­g zu treten; von daher haben wir die Sozialprog­nose zu seinen Gunsten ausgelegt.“Für die Eigentümer war das Haus ihre Altersvors­orge. Nun muss es von der Quecksilbe­r-Belastung befreit und abgerissen werden. Die Kosten dafür belaufen sich auf etwa 3,5 Millionen Euro.

 ?? FOTO: LAURA KEISS ?? Im Prozess gegen den Verursache­r der Quecksilbe­rverseuchu­ng in einem Wohn- und Geschäftsh­aus in der Gammerting­er Ortsmitte gibt es vor dem Hechinger Landgerich­t zwei Verhandlun­gstermine.
FOTO: LAURA KEISS Im Prozess gegen den Verursache­r der Quecksilbe­rverseuchu­ng in einem Wohn- und Geschäftsh­aus in der Gammerting­er Ortsmitte gibt es vor dem Hechinger Landgerich­t zwei Verhandlun­gstermine.

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