Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Quecksilber-Täter bleibt auf freiem Fuß
Rentner erhält zweijährige Bewährungsstrafe – Ärztin stellt erhöhte Belastung bei Kindern fest
HECHINGEN - Am Ende war das Urteil nur noch Formsache. Nachdem der 70-jährige Rentner am ersten Prozesstag seine Tat gestanden hatte, einigten sich alle Beteiligten darauf, von einer Gefängnisstrafe abzusehen. Die zweijährige Haftstrafe für schwere Gefährdung durch Freisetzung von Giften wurde gestern vom Hechinger Landgericht auf Bewährung ausgesetzt. Der siebenfach vorbestrafte Mann löste in seiner ehemaligen Wohnung in Gammertingen Quecksilber aus silberhaltigem Amalgam im Schwedenofen. Dieses wollte er verkaufen. Durch die hochgiftigen Dämpfe wurde das gesamte Gebäude kontaminiert und ist mittlerweile unbewohnbar (die SZ berichtete mehrfach).
In der Strafsache gegen den 70Jährigen hat es sich am zweiten Prozesstag nicht mehr um ein streitiges Verfahren gehandelt. Der Angeklagte legte bereits zu Beginn des Prozesses ein Geständnis ab und musste somit nicht mehr überführt werden. Sein Verteidiger, Nikolai Odebralski aus Essen, handelte durch die Vereinbarung eine Bewährungsstrafe für seinen Mandanten aus. Das gängige Strafmaß liegt zwischen einem und zehn Jahren Gefängnis.
Gestern ging es nur noch um einen Vergleich hinsichtlich der Schadensersatzansprüche für die geschädigte Familie. Sie hatte im selben Haus mit dem Angeklagten an der Hohenzollernstraße in Gammertingen gewohnt. In den Urinproben der Familie wurden Quecksilber-Belastungen festgestellt; bei den beiden Kindern fand man das Gift sogar im Blut. „Lediglich die Belastungswerte der Kinder liegen im Zwischenbereich der Grenzwerte für eine gesundheitliche Gefährdung“, sagte die Gerichtsmedizinerin und Sachverständige.
Über den Grenzwerten und damit im kritischen Bereich für eine gesundheitliche Gefährdung liege lediglich die Quecksilber-Belastung der Frau des Angeklagten. Der Streitwert für die Kosten und Schmerzensgeldansprüche der Familie wurde im Verfahren auf mehr als 88 000 Euro festgelegt. Ein symbolischer Wert für die Anklage, da der 70-jährige Mann weniger als 500 Euro Rente pro Monat beziehe. Für die Kosten kann er nicht aufkommen. „Die Versicherung der Familie hat eine Klausel und wird vermutlich für die Zahlungsansprüche aufkommen“; sagte Oberstaatsanwalt Jens Gruhl nach dem Prozess auf Anfrage der SZ.
Der Richter und Vizepräsident des Landgerichts Hechingen, Hannes Breucker, richtete in seiner Urteilsverkündung persönliche Worte an den Angeklagten. Dieser sei vor Gericht geständig, authentisch und ehrlich aufgetreten und entsprechend wolle auch er ehrlich zu ihm sein: „Die Staatsanwaltschaft und das Gericht haben hier nach Augenmaß entschieden und geurteilt. In anderen vergleichbaren Fällen wäre das Strafmaß sicherlich höher ausgefallen.“Die vier Mitglieder der großen Strafkammer zeigten sich überzeugt davon, dass der 70-Jährige nicht mehr straffällig werde und somit eine Bewährungsstrafe ausreichend sei. „Wir wollten Sie hier nicht ruinieren“, sagte Breucker.
Das Schicksal der Hauseigentümer sei dem Gericht durchaus bewusst gewesen und nicht außer Acht gelassen worden, sagte der Richter. „Wir können hier aber nicht alles bereinigen.“Nach dem Urteil ordnete Breucker seine Ausführungen gegenüber der SZ ein: „Der Mann ist 70 Jahre alt, saß 24 Jahre seines Lebens im Gefängnis und hat eine schwerkranke Frau. Wir denken, dass er keine Veranlassung mehr dazu hat, erneut kriminell in Erscheinung zu treten; von daher haben wir die Sozialprognose zu seinen Gunsten ausgelegt.“Für die Eigentümer war das Haus ihre Altersvorsorge. Nun muss es von der Quecksilber-Belastung befreit und abgerissen werden. Die Kosten dafür belaufen sich auf etwa 3,5 Millionen Euro.