Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
„Mein lieber Gole“
Offener Brief an den Herrscher für sechs Tage
Ein offener Brief an den Riedlinger Herrscher für sechs Tage.
Lieber Gole, heute schreibe ich Dir einen offenen Brief, nachdem Du heute wieder einmal die Macht übernommen hast. Sechs Tage lang ist dank Deiner Herrschaft die Stadt im Ausnahmezustand. Die Menschen kleiden sich anders, benehmen sich anders. Es wird gesungen, getanzt und gelacht. Alles für Dich, lieber Gole.
Eigentlich hast Du ein ganz schön angenehmes Leben. 359 Tage im Jahr schläfst Du den Schlaf der Gerechten, während wir Normalsterbliche Tag für Tag buckeln müssen. Und während man uns die dahinfließenden Jahre ansieht, bleibst Du dank deines Schönheitsschlafs immer der Gleiche. Selbst an der Gelbsucht mit ihren 200 Jahren ist noch kein Fältlein am großen Haupt zu entdecken.
Und kaum lässt Du Dich dann doch mal blicken, wird Dir zugejubelt. Die Fanfaren spielen auf, die Musikanten stehen bereit und die Stadt ist in jedem Winkel und in jeder Ecke mit Deinen Farben ausstaffiert. Grün-gelb-weiß-rot dominiert. Die Schüler jubeln, weil Du sie vom Unterricht befreist und die Lehrer, weil Du sie von den Schülern befreist. Selbst der tägliche Gruß wird angepasst. „Gole“klingt es von morgens bis abends, wenn sich die Leute treffen. Ein echtes Heimspiel für Dich also.
Und nun hast Du auch noch den demokratisch gewählten Bürgermeister aus dem Amt gejagt und Dir die Ratsschlüssel geben lassen. Deine grimmig dreinblickenden Golebegleiter haben Schafft in Gewahrsam genommen und keiner der Bürger muckt auf. Jahr für Jahr übernimmst Du in der Zeit die Regentschaft. Und Jahr für Jahr verkündet Dein Stellvertreter auf Riedlinger Erden, Zunftmeister Thomas Maichel, dass Einigkeit herrsche, während deiner Regierungszeit. Friede, Freude, Golezeit.
Aber lieber Gole – und nimm es mir bitte nicht übel und schick nicht gleich Deine Golebegleiter vorbei – was machst Du eigentlich in den sechs Tagen? Nimmst Du deine Regentschaft eigentlich ernst? Im Grunde sieht man Dich nur winkend durch die Gassen laufen. Ab und zu schaust Du bei Bällen vorbei, die Dir zu Ehren organisiert wurden. Und manchmal schunkelst Du ein bisschen zum Golelied. Das war’s auch schon.
Das, mein lieber Gole, ist zu wenig. Das mag vor 100 oder 200 Jahren passend gewesen sein, als noch Monarchen dieses Land regierten und Computer, Effizienz und durchgetaktete Kalender noch Fremdwörter waren. Aber nun leben wir in einer Leistungsgesellschaft. Dem kannst auch Du dich nicht entziehen. Wir wollen Leistung sehen! Ein bisschen huldvoll nicken und ansonsten Party machen, ist zu wenig.
„Leistung muss sich wieder lohnen“war mal ein Slogan, der hierzulande durch die Welt geisterte. Aber Du belohnst dich bereits, ohne Leistung zu bringen. Oder wann hat man Dich schon mal abends und nachts im Rathaus über Akten gebeugt sitzen sehen, wann Dich mit Gemeinderäten über wichtige Themen reden hören?
Du bist ja eh nicht so der kommunikative Typ. Heute kommunizieren alle mit jeder und jedem. Das Mittagessen wird auf Facebook gepostet, damit auch jeder sehen kann, was bei den anderen auf den Tisch kommt. Es wird gewhatsappt, gechattet, werden Bilder geteilt. Und Du? Kein Smartphone, nicht dauernd erreichbar, meistens bleibst Du eh stumm. Ein bisschen Nicken, mehr ist Dir nicht zu entlocken. An Deinem Kommunikationsverhalten solltest du ein bisschen arbeiten, lieber Gole. Hat die Zunft denn keinen Kommunikationstrainer? Niemand, der Dir ein Smartphone erklärt?
Und was hast Du eigentlich in Deinen Regentschaften schon erreicht? Und komm mir nicht mit der Ausrede, dass Du nur sechs Tage Zeit hast. Gott hat die Erde in sieben Tagen erschaffen, da wirst Du wohl in sechs Tagen ein paar Probleme gelöst kriegen: Um die Finanzen der Stadt steht es nicht zum Besten, wir könnten auch mehr Gewerbe vertragen. In der Innenstadt wären ein paar Einzelhändler nicht schlecht und auch so Kleinigkeiten wie eine sanierte oder neue Stadthalle wären nötig. Und dass beim Gesundheitszentrum endlich grünes Licht von allen Beteiligten kommt, könntest Du ja wohl mal in die Wege leiten.
Wer, wenn nicht Du, kann das für Riedlingen tun? Du bist beliebt, Deine Macht unbestritten und die Großen des Landes machen Dir ihre Aufwartung. Der Ministerpräsident setzt sich Jahr für Jahr zu Dir an den Tisch, der Regierungspräsident ebenso. Der heutige Justizminister kennt Dich bestens, auch Landräte, Sparkassenpräsidenten, Landtagsabgeordnete und Ministerialdirigenten waren schon da. Mit denen kannst Du doch mal ein paar deutliche Worte sprechen. Klartext, lieber Gole, nicht nur Schunkeln und Singen. Das muss doch hinzukriegen sein. Schließlich bist Du unter all diesen Großkopfeten für alle sichtbar mit Abstand der größte Großkopfete.
Ich erwarte ja nichts Unmögliches von Dir – etwa, dass in Riedlingen immer eitel Sonnenschein herrscht, oder dass die Frauen zum Froschkutteln zugelassen werden... Aber ein bisschen könntest Du Dich doch wohl ins Zeug legen. Zeig, was Du kannst. Mach was!
„Und komm mir nicht mit der Ausrede, dass du nur sechs Tage Zeit hast.“
Goole. Es grüßt Dich Dein Fan Bruno Jungwirth