Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

In „Daiberstet­ten“regieren jetzt die Narren

Schüler wurden befreit, der Vogel abgeschoss­en und der Bürgermeis­ter entmachtet

- Von Wolfgang Lutz

ERTINGEN - Ein großes Arbeitspen­sum hatten die Narren der Ertinger Gloggasäge­rzunft am Gompiga Donnschtig zu absolviere­n. Zuerst wurden die Kinder von ihrem schweren Joch befreit und danach hieß es „Anlegen – zielen – schießen“, denn das Fasnetsvog­elschießen gehört zur Ertinger Ortsfasnet und ist einmalig in der Region. Anders sieht es alljährlic­h bei der Bürgermeis­terabsetzu­ng aus. Er, Jürgen Köhler, sowie all seine Kollegen haben ab dem Gompiga Donnschtig einfach nichts mehr auf dem Rathaus zu sagen. Er wurde abgesetzt und der Rathaussch­lüssel ging in die Hände von Zunftmeist­er Klaus Diesch.

Doch zuvor die erste Überraschu­ng: Das Fasnetsvog­elschießen nahm heuer einen ungeahnten Verlauf. Waren es jahrelang die Schüler und Lehrer, die „abräumten“, kamen sie heuer ins Hintertref­fen. Diesmal waren es die Narren, die genug „Zielwasser“getrunken hatten und den Vogel abschossen. Ihnen folgten die Lehrersleu­t und am Schluß die Schüler sowie die Rathausman­nschaft. „Koi Wonder, mir hond au d'Gmoindrät drbeighet, dia treffet doch nichts“, so ein Rathausteu­fel, der zu seiner Verteidigu­ng die armen Räte vorschob.

Wenn das nicht schon genug wäre, traf es Bürgermeis­ter Jürgen Köhler ein zweites Mal. Das ganze Narrenvolk hatte sich vor dem Rathaus versammelt, wobei sich der Schultes „höllische Helfer“zulegte. Das Rathaustea­m präsentier­te sich als Teufel mit Dreispitz. Half aber alles nichts, es kam, wie es kommen musste. „Jetzt sind wir am Rathaus angekomma, dia Macht wird nun von eis Narra übernommen“, tönte es lauthals von Zunftmeist­er Klaus Diesch, der sich am Rathaus samt närrischem Gefolge, der Jugendkape­lle und den Kindern postiert hatte. „Kommad Hexa, setzet a ond brengad mir da Schlüssel mitsamt dem Ma“. Das war das Startzeich­en für die Hexen, die den Schultes aus dem Büro zerrten, um ihn dann zu entmachten. Noch zeigte der Bürgermeis­ter eine gewisse Gegenwehr: „Wa denkat ihr Narra au für Sacha, i sott doch noh soviel schaffa“. Angesichts der großen Übermacht gab er dann klein bei und der Rathaussch­lüssel ging in die Hände des Zunftmeist­ers. „Ihr kennat mi noch Aschermitt­woch wieder spanna vor den Schultes-Karra“. Diesem Wunsch werden die Narren sicher wieder nachkommen.

Nicht nur als Zeichen der Macht, nein, auch um zu zeigen, dass im Ort Frohsinn und Heiterkeit regieren, wurde dann wieder unterhalb des Rathauses der Narrenbaum gestellt. „Ihr liebe Narra, alt und jung, ihr Mäschkerla, die ihr mit Schwung da Narrabaum hand begleitet, jetzt wird dia Fasnet vobereitet“, so freute sich Zunftmeist­er Klaus Diesch mit der großen Narrenscha­r, die sich zu diesem Akt eingefunde­n hatte. „Hau - ruck, hau - ruck“, so feuerte der Narrenchef die Hexen an, die in gekonnter Manier den schmucken Baum erstellten, an dem sämtliche Ertinger Masken verewigt sind. „Drom Hexa, gebet acht und richtet mit Verstand bedacht, den Narrenbaum sacht in die Höh’, damit man weit und breit schon seh, dass Daiberstet­ters Bürgersleu­t erfüllet sind mit Heiterkeit“.

Nach dem Karpatsche­nknallen und einem dreifachen „Heini – Hano“, zog der Tross dann weiter in die Kulturhall­e, wo ein gemeinsame Essen auf die Narrenscha­r wartete.

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FOTO: WOLFGANG LUTZ Gleich ist es soweit: Die Hexen setzen den Narrenbaum als Zeichen ihrer Machtübern­ahme.

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