Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Hut ab vor diesen drei Frauen
Die „neue“Theaterei schafft auf der Bühne ein seltenes Kunststück
HERRLINGEN - Die „alte“Theaterei Herrlingen hatte sich einen Ruf erworben als Bühne, der mit verlässlicher Regelmäßigkeit hervorragende Bühnenfassungen von literarischen Werken gelangen, etwa „Am Hang“von Markus Werner, „Rot“von John Logan oder „Mara“von Wolf Wondratschek. Die „neue“Theaterei Herrlingen unter Leitung von Edith Erhardt wird diesen Weg fortsetzen – und zeigt aktuell mit „Altes Land“eine beeindruckende Fassung des gleichnamigen Romans von Dörte Hansen.
Der behandelt die Geschichte der Bewohner eines alten Hauses in diesem vom Obstbau geprägten Landstrich der Hamburger Elbmarschen. Liegt ein Fluch auf diesem Haus, über dessen Pforte zu lesen ist: Dies ist mein Haus und doch ist es nicht mein? Niemand, so scheint es, kann darin glücklich werden.
Als die traumatisierte Vera mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke (Lisa Wildmann) in den ersten Nachkriegstagen im Haus der Familie Eckhoff ankommt, ahnt man schon den Sprengstoff, der im Zusammentreffen von Alteingesessenen und Heimatvertriebenen auf Jahrzehnte hinaus steckt.
Ungewisse Kriegsschicksale
Man ahnt auch, dass das Haus die Protagonisten nicht mehr loslassen wird, dass Unheil bevorsteht. Die Hausherrin, die alte Ida Eckhoff (Ursula Berlinghof), gibt sich der unbeugsamen Hildegard bald geschlagen. Die nimmt den Sohn des Hauses, Karl, zum Mann, fühlt sich aber nicht wohl mit diesem vom Krieg schwer gezeichneten Menschen und flieht mit neuem Partner nach Hamburg. Dort bekommt sie eine zweite Tochter, Marlene.
Vera bleibt zurück auf dem Hof, verwächst mit dem verlassenen Karl, verwächst mit dem Haus und entfremdet sich zugleich von ihrer Umwelt. Erst als ihre Nichte Anne (Agnes Decker) mit Söhnchen Leon auftaucht und Gefallen am Landleben findet, wie auch am grobkörnigen Nachbarn Dirk zum Felde, da taut die zur erstarrten Skulptur gewordene Vera wieder auf.
Hansens Roman bedient hervorragend alles an „Landlust“, was man sich nur wünschen kann. Nebenbei wurden auch ein paar Frauen- und Männerklischees von schöner Sprache ummantelt aufgelegt. Und doch gelingt dem Roman ein Abbild der Zeit seit 1945 durch starke Frauenfiguren über drei Generationen hinweg.
Die Bühnenfassung in der Regie von Edith Erhardt ist furios. Ein Genuss ist es, den drei Schauspielerinnen zuzusehen, die diesen Figurenreigen zum Leben erwecken. Die Aufgabe, mit nur drei Darstellerinnen ein Dutzend Figuren auf der Bühne zu haben, gelingt vorzüglich.
So werden unvermutet Parallelitäten und Echos vorangegangener Szenen elegant aufgenommen und zu einem staunenswert flüssigen Generationenbild verwoben.
Agnes Decker, Lisa Wildmann und Ursula Berlinghof fesseln von der ersten bis zur letzten Minute. Die Inszenierung lässt keine Wünsche offen: Die allzu offensichtlichen Handlungsstränge des Romans werden in der Bühnenfassung zugunsten starker Charakterszenen zurückgestellt und die Männer sind, anders als im Roman, keine faden Schluffis, sondern vollwertige Figuren. Hier ist vor allem Ursula Berlinghof hervorzuheben, die grandios zwischen Mutter- und Hosenrollen wechselt.
Der Einstand ins erste TheatereiJahr unter neuer Leitung: Er ist mehr als gelungen.