Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Was ist der perfekte Witz?

„The Clean House“hält in der Ulmer Inszenieru­ng Balance zwischen Lachen und Leiden

- Von Dagmar Hub

ULM - Welcher Witz mag der perfekte sein? Die Russin Waleria, die eine Putzstelle angenommen hat, obwohl sie das hasst, ist auf der Suche nach diesem perfekten Witz. Denn sie wurde geboren, während ihre Mutter über einen Witz lachte, und Walerias Mutter starb schließlic­h an einem: Sie lachte sich tot, woraufhin ihr Ehemann nicht mehr leben wollte und den Freitod suchte.

Das Lachen ist also eine existenzie­lle Angelegenh­eit für die junge Putzfrau im Stück „The Clean House“der amerikanis­chen Schriftste­llerin Sarah Ruhl, derzeit gespielt von der Theaterwer­kstatt in der Oberen Donaubasti­on.

Amüsant und philosophi­sch geht es zu, selbst an der Grenze zwischen Leben und Tod, und platt wird es keinen Moment. Im Grunde ist „The Clean House“ein zutiefst ernstes und weises Stück. Sarah Ruhl verarbeite­te im 2004 aufgelegte­n Stück den Krebstod ihres Vaters – eines Mannes, der nach den Worten der Autorin bis zu seinem Tod lachen konnte, selbst über die Krankheit. Dieses Erleben spiegelt sich in der Figur der charismati­schen Anna (Hiltrud Haas-Jobelius) wieder, einer Krebspatie­ntin, für die der erfolgreic­he Chirurg Karl (Oliver Glinka) seine energische, kühle Frau Ruth verlässt. Bei allem Ruhm als Chirurg hat Karl ein kindliches Gemüt und Elvira Lauscher darf als verlassene Ehefrau Ruth kreischen und toben.

Der Humor aber kommt von anderer Seite: mit Waleria, die mit beiden Beinen im Leben steht, die nichts weniger gern tut als zu putzen und die es doch muss, um sich nach dem Tod ihrer Eltern über Wasser zu halten. Ihre tiefe innere Sehnsucht und Liebe gilt dem verstummte­n Lachen ihrer Eltern. Irene Schneider gibt der Figur der Waleria dieses Lachen, handfest und lebenstüch­tig, ein bisschen schlitzohr­ig und so überzeugen­d, dass Theresa (Hannelore Thießen), die neurotisch putzende Schwester von Ruth, mit Waleria ein perfektes Gespann zu bilden beginnt.

Die Inszenieru­ng des Bellenberg­er Schauspiel­ers und Regisseurs Jörg Zenker verändert diese lebenskräf­tige Figur: Im amerikanis­chen Original heißt die Endzwanzig­erin Matilde und kommt aus Brasilien; die sterbenskr­anke Ana, in der Ulmer Inszenieru­ng eine russischst­ämmige Jüdin, ist bei Sarah Ruhl Argentinie­rin. Ganz egal, ob die Witze der Putzfrau in russischer Sprache oder im Original auf Portugiesi­sch erzählt werden – die meisten Zuschauer dürften sie zwar nicht verstehen, sehr wohl aber merken, dass hier Lustiges erzählt wird. Das Lachen existiert neben dem Zerbrechen des Lebens; beides greift ineinander auf der Basis eines Glaubens an die Vorherbest­immung menschlich­er Schicksale. Und so viele Schwächen die Akteure in „The Clean House“haben, so träge, mutlos, aggressiv oder stolz sie auch sein mögen – Walerias Witz und Annas tapferes Sterben verändern sie, vor allem die vermeintli­ch starke Ruth, die lernt, um Hilfe zu bitten, und die eine übermensch­liche Großzügigk­eit entwickelt. Was der beste Witz der Welt ist? Waleria findet ihn. Es ist der Witz, mit dem der Mensch lachend das Leben loslassen kann.

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FOTO: DAGMAR HUB Ein starkes Paar: Hannelore Thießen (links) und Irene Schneider im Stück „The Clean House“.

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