Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Mutter des Angeklagte­n stützt sein Alibi

Brand am Marktplatz: Nachbarn waren laut Gutachter in Lebensgefa­hr

- Von Berthold Rueß

RIEDLINGEN - Dass der Brand in dem Riedlinger Fachwerkha­us an Pfingsten 2016 von einer Bratpfanne auf dem Elektroher­d in einer Dachgescho­sswohnung ausging, daran ließ der Kriminalte­chniker am zweiten Verhandlun­gstag keinen Zweifel. Für die Frage, ob der wegen schwerer Brandstift­ung angeklagte 28-Jährige den Herd böswillig eingeschal­tet hat, werden vor allem Indizien maßgeblich sein. Das Alibi wurde von den Angehörige­n bestätigt: In der fraglichen Nacht sei er zu Hause gewesen.

Die Familie habe am Pfingstson­ntag in einem Lokal in Riedlingen den Geburtstag ihrer Tochter gefeiert, erzählte die Mutter des Angeklagte­n. Der sei daheim in einer benachbart­en Gemeinde geblieben, weil er sich nicht in Riedlingen habe blicken lassen wollen: Er hat nach einer gewalttäti­gen Aktion gegen seine Lebensgefä­hrtin ein gerichtlic­hes Annäherung­sverbot bekommen. Gegen 16.30 Uhr habe sie ihn zu Hause angetroffe­n. Später sei eine Bekannte zu Besuch gekommen, die das Haus kurz nach 22 Uhr verlassen habe. Kurz nach 20 Uhr sei ihr Sohn, der sich etwas zu Essen besorgt habe, wieder heimgekehr­t. Zusammen mit seinem Bruder – der diese Angaben bestätigte – habe er dann im Auto Musik gehört. Später sei er auf ihre Aufforderu­ng ins Haus gekommen und habe dieses in der Nacht, in der es brannte, nicht mehr verlassen.

Wie sie sich denn sicher sein könne, dass ihr Sohn nicht mehr unterwegs war, wunderte sich der Vorsitzend­e Richter Stefan Maier. „Ich leide an einer bipolaren Störung“, erklärte die recht resolut auftretend­e Frau, deshalb habe sie nicht geschlafen: „Sobald es dunkel ist, kann ich nicht mehr ruhig sitzen.“Sie habe zudem einen „Kontrollti­ck“und sei ständig nach draußen gegangen. Die andere Haustüre habe ihr Mann zugenagelt, weil sie defekt gewesen sei. An ihr wäre ihr Sohn nicht unbemerkt vorbeikomm­en.

Bemerkt habe sie allerdings bei gelegentli­chen Besuchen, dass in der gemeinsame­n Riedlinger Wohnung der Herd nicht einwandfre­i funktionie­re. Die Platte habe sich bisweilen nicht ohne weiteres abschalten lassen. Es sei ein „Kampf“mit dem Drehschalt­er gewesen: „Das ist die volle Wahrheit.“

Der Herd habe sich schon beim Einzug 2013 in der Dachgescho­sswohnung am Riedlinger Marktplatz befunden, sagte die Ex-Freundin des Angeklagte­n. Sie habe ihn praktisch täglich benutzt und keine technische­n Probleme festgestel­lt – abgesehen davon, dass eine Herdplatte kaum noch Leistung gebracht habe. Am Samstag des Pfingstwoc­henendes habe sie zu Mittag zusammen mit einer Nachbarin darauf noch Kartoffeln gekocht und Fischstäbc­hen gebacken. Eine Pfanne mit Resten einer Bolognese-Soße vom Vortag habe sie aus der Backröhre genommen und auf den Herd gestellt. Bevor sie am Nachmittag zu ihrer Schwester nach Heidenheim gefahren sei, habe sie noch alle Elektroger­äte kontrollie­rt und als letzte die Wohnung verlassen.

Von eben dieser Pfanne, so der Brandsachv­erständige in seinem Gutachten, ist der Brand in der Nacht auf Pfingstmon­tag ausgegange­n. Das zeige die „Lichtbogen­schmelzung“am Kabel eines Wasserkoch­ers neben dem Herd. Die Pfanne habe enorme Hitze abgestrahl­t. Von der Küche, die schließlic­h in Vollbrand gestanden sei, habe sich das Feuer über die Dachkonstr­uktion und den Flur ausgebreit­et. Es habe enormes Gefährdung­spotenzial für die Bewohner der Nachbarwoh­nung bestanden, so der Gutachter. Verstärkt werde die Gefahr dadurch, dass Menschen in solchen Situatione­n nicht rational handeln. Über die Dauer der Brandentwi­cklung könne er keine Aussagen machen. Nicht auszuschli­eßen sei auch eine Dauer von 36 Stunden.

Abmontiert­e Rauchmelde­r

Der direkte Nachbar, in der Brandnacht von Passanten aus dem Schlaf geklingelt, hatte zusammen mit einem Passanten versucht, das Feuer zu löschen. Die Feuerlösch­er hätten versagt. Aufgefalle­n, so der Mann im Zeugenstan­d, seien ihm dabei die abmontiert­en Rauchmelde­r in der Wohnung. So habe ihm und seiner Frau der Passant vermutlich das Leben gerettet: „Wenn der nicht gewesen wäre, hätten wir es wahrschein­lich nicht mehr geschafft.“Fünf Wochen habe er wegen des traumatisc­hen Erlebnisse­s danach in der Psychiatri­e verbracht. Sämtliches Hab und Gut hätten er und seine Frau verloren, nachdem sie in Schlafklei­dung das Haus verlassen hatten: „Wir hatten 19 Jahre dort gewohnt“. Eine Brandversi­cherung habe er nicht gehabt, sei auf Spenden und einen Kredit angewiesen gewesen.

Auch die frühere Lebensgefä­hrtin des Angeklagte­n verlor den gesamten Hausrat, auch sie ist nicht versichert. Die 25-Jährige kam mit ihren Kindern in einem Frauenhaus unter. Den Angeklagte­n traf sie auch dann noch, trotz gerichtlic­hem Annäherung­sverbot. Über den Brand habe man dabei aber nicht gesprochen. Im Sommer 2017 bekam sie ihr drittes Kind. Warum sie denn nicht Schluss gemacht habe, wollte Richter Maier wissen. „Ich bin damals sehr sensibel gewesen und bin rückfällig geworden“, erklärte die verschücht­ert wirkende junge Frau.

Ob der Angeklagte einen falschen Wohnungssc­hlüssel an die Polizei übergeben hat, wie die Exfreundin vermutet, soll die Aussage des Polizeibea­mten klären. Verteidige­r Wolfgang Dahler hat außerdem einen Beweisantr­ag gestellt, zu klären, ob die Herdplatte auch bei Schalterst­ellung null in Funktion gewesen sein konnte.

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ARCHIVFOTO: THOMAS WARNACK/DPA Rund eine Million Euro entstand bei dem Brand an Pfingsten 2016.

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