Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Haftstrafe für Horrorrituale in Ulmer Jugendknast
Ein Prozess wirft Licht auf grausame und ekelerregende Vorgänge in der Untersuchungshaft
ULM (sz) - Direkt hinter dem im Ulmer Justizpalast tagenden Gericht spielte sich in einem Backsteingebäude aus dem Jahr 1896 der blanke Horror ab: Neuankömmlinge des JugendUntersuchungsgefängnisses wurden geschlagen, beinahe vergewaltigt und über acht Wochen gezwungen, einen Cocktail aus Urin, Kot und Zigarettenasche zu trinken.
Vor dem Ulmer Landgericht schilderten in den vergangenen Wochen mehrere Zeugen, wie ihnen in der Gemeinschaftsdusche vom Hauptakteur (zur Tatzeit 19, heute 23 Jahre) und vier Mitgefangenen (damals 15 bis 22 Jahre) aufgelauert wurde. Sie wurden geschlagen und in zwei Fällen wurde versucht, ihnen einen vom Rädelsführer in der Gefängniswerkstatt fabrizierten Holzstock in den After zu rammen. Danach mussten sie jenes ekelerregende zusammengerührte Gebräu trinken. Jetzt wurde der muskulöse Angeklagte zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Der Deutsche sitzt zur Zeit eine zehnjährige Strafe wegen versuchten Mordes ab. In seiner derzeitigen Haftanstalt musste der Verurteilte erneut in einen Sicherungsbereich verlegt werden, weil er wiederum Mithäftlinge geschlagen hat. Eine Resozialisierung scheint für das junge Kraftpaket in weiter Ferne zu liegen.
Gegen einen Mitangeklagten wurde das Verfahren eingestellt. Die anderen erhielten Bewährungsstrafen nach dem Jugendrecht von acht Monaten bis zu zwei Jahren.
Sein persönliches Entsetzen über diesen Fall tat der Staatsanwalt kund, dass so etwas „mitten in Deutschland“passieren könne. „Das beunruhigt mich. Da soll man resozialisiert das Gefängnis verlassen und kommt traumatisiert raus“.
Der Anwalt des Nebenklägers sprach in seinem Plädoyer von einem Erniedrigungsprozess der schlimmsten Art, dem die Opfer ausgesetzt gewesen seien. Er beklagte, wie die Verteidiger in ihren Plädoyers, die mangelnde Aufsicht in der Jugendabteilung. Der Anwalt des Hauptangeklagten sprach auch von einem Versagen in der Justizvollzugsanstalt.
Diesen Vorwurf mochte Ulrich Schiefelbein, der Leiter der Justizvollzugsanstalt Ulm, nicht auf sich sitzen lassen. „Völlig unberechtigt“seien die Angriffe des Staatsanwalts. Die Überwachung der Untersuchungshäftlinge sei politisch gewollt nicht lückenlos. In der Abteilung seien 15 maximal 21-jährige mutmaßliche Straftäter untergebracht, die von zwei Bediensteten betreut würden. Nach dem Wecken um 7 Uhr und einem gemeinsamen Frühstück sei der Tag zwar mit viel Programm wie Schule, Arbeit oder Kursen zur Berufsvorbereitung ausgefüllt. Doch in den Pausen könnten sich die Untersuchungshäftlinge frei bewegen. Auch in den Duschen gebe es keine Überwachung. Die Bedingungen in der U-Haft seien andere als die Haft zum Vollzug der Strafe.
Nach Darstellung von Schiefelbein habe es sich in diesem um eine „sehr unglückliche Konstellation“gehandelt. Der Haupttäter habe eine außergewöhnlich hohe kriminelle Energie. Sein Gefahrenpotenzial wurde trotz eines beachtlichen Vorstrafenregisters offenbar unterschätzt. Seit dem Geschehen seien vier Jahre vergangen, in denen es keine derartigen Vorkommnisse gegeben habe. Eine Konsequenz sei jedoch gezogen worden: Die zwei Wärter seien angewiesen worden, öfters Kontrollgänge zu unternehmen. Und auch die Duschzeiten würden jetzt streng reglementiert.
Auch der Vorsitzende Richter sprang Schiefelbein zur Seite: Das, was in der Ulmer JVA passiert sei, könne nicht verhindert werden. Ansonsten müssten alle Jugendlichen in U-Haft in Einzelhaft genommen werden, was dem Ziel der Resozialisierung widersprechen würde. Untersuchungen hätten zudem belegt, dass sich unter Häftlingen immer wieder Rangordnungen bilden, die mit Gewalt von einzelnen durchgesetzt würden.