Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Emeritierter Papst
Seine Nachfolger können frei entscheiden, ob sie gehen oder bleiben
Der Amtsverzicht von Benedikt XVI. und die Folgen
ULM - Seit genau fünf Jahren lebt Papst Benedikt XVI. (90) nach seinem selbst gewählten Rücktritt zurückgezogen im Vatikan. Mit dem Schritt in den Ruhestand veränderte er das Papstamt.
Seit Jahrhunderten weiß die katholische Kirche um die Macht der Bilder, um die Kraft der Inszenierung. Und so waren nicht nur die engsten Mitarbeiter des Papstes zu Tränen gerührt, als an diesem 28. Februar 2013, einem Donnerstag, Benedikt XVI. im weißen Mantel sich von den Ordensschwestern des päpstlichen Haushaltes, seinem Stab, von den Kardinälen und aus dem Vatikan verabschiedete, um dann in einen weißen Hubschrauber zu steigen. Auf dem Petersplatz standen Tausende und winkten der Maschine der italienischen Luftwaffe zu, die eine Ehrenrunde über dem Vatikan dreht und dann zur päpstlichen Sommerresidenz Castel Gandolfo flog. Wenige Stunden später, am 1. März um 00.00 Uhr, war Benedikt XVI. wieder Joseph Ratzinger, der erste Papst im Ruhestand seit Jahrhunderten.
Mit diesem Schritt begann ein Experiment, über dessen Ausgang seinerzeit heftig spekuliert wurde. Verträgt die Kirche zwei Päpste nebeneinander? Wie wird sich das Verhältnis gestalten? Wird Joseph Ratzinger seinen Nachfolger, der zwei Wochen später gewählt wird, akzeptieren? Welchen Platz wird der neue Papst seinem Vorgänger zuweisen? Heute wissen wir: Zwei Päpste im Vatikan, Benedikt XVI. und Franziskus, kommen gut miteinander aus.
Paukenschlag auf Latein
Benedikt XVI. überraschte die Welt komplett, als er zweieinhalb Wochen vor jenem 28. Februar, am Montag, 11. Februar 2013, seinen Rücktritt ankündigte. „Leicht nuschelnd“, wie sich Beobachter erinnern, holte Benedikt XVI. auf Latein zu seinem Paukenschlag aus. Nachlassende eigene Kräfte, aber auch der Missbrauchs-, der Vatileaks- und der HolocaustLeugner-Skandal setzten dem Papst zu. Er litt am Zustand der Kirche Als sich herausstellte, dass der Papst mit dem ersten freiwilligen Amtsverzicht seit 718 Jahren einen theologischen Sprengsatz zündete, ließen die Reaktionen nicht lange auf sich warten. „Respekt“war am häufigsten zu hören, „Revolution“ebenso.
Denn der Gendarmensohn aus Markt am Inn, der auf eine steile Karriere als Theologieprofessor, Erzbischof von München und Freising und Präfekt der Glaubenskongregation bis hin zum Thron Petri zurückblickt, entzauberte mit seinem Rücktritt das Papstamt. Seine Nachfolger können frei entscheiden, ob sie gehen oder bleiben, wenn sie sich überfordert fühlen. Aber: Künftige Päpste werden sich auch einer öffentlichen Diskussion zu stellen haben, ob sie besser im Amt verharren oder dem Beispiel Benedikts folgen und sich zurückziehen sollten. Kritiker fürchteten, Päpste seien von jetzt an erpressbar.
Benedikts Nachfolger als Papst Franziskus wurde der Argentinier Jose Maria Bergoglio, ein Jesuit. Er sehe Franziskus in seiner Kontinuität, sagte Benedikt seinem Biographen: „Es gibt vielleicht neue Akzente, natürlich, aber keine Gegensätze.“Er finde die Art von Franziskus gut. „Eine neue Frische in der Kirche, eine neue Fröhlichkeit, ein neues Charisma, das die Menschen anspricht, das ist schon etwas Schönes.“Und in einer jüngst erschienenen Biografie ergänzte Benedikt, er empfinde eine „wunderbar väterlich-brüderliche“Beziehung zu Franziskus. Heute sind sich Beobachter einig: Das Experiment „Zwei Päpste im Vatikan“ist geglückt. Benedikt, der nach eigenen Worten auf der „Pilgerfahrt zum Haus des Herrn“ist – auf einem „manchmal ein wenig ermüdenden letzten Wegstück“– ist seinem Nachfolger gegenüber absolut loyal. Er verspreche seine „bedingungslose Ehrerbietung und meinen bedingungslosen Gehorsam“, sagte er noch als amtierender Papst am 28. Februar 2013. Daran hält er sich.