Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Akustische­s Denkmal mit Gschmäckle

Eine Glocke aus der Zeit des Nationalso­zialismus soll auch in Zukunft im pfälzische­n Herxheim am Berg erklingen – Zentralrat der Juden kritisiert „tiefe Respektlos­igkeit“

- Von Fabian Busch

HERXHEIM AM BERG (dpa/sz) - Eng ist es im Saal des Gemeinscha­ftshauses. Nicht nur das Medieninte­resse ist groß, auch rund 70 der rund 700 Dorfbewohn­er haben Platz genommen, um die Sitzung des Gemeindera­ts am Montagaben­d zu verfolgen. Einige von ihnen applaudier­en, als das Abstimmung­sergebnis verkündet wird: Die umstritten­e „Hitler-Glocke“, die das Dorf in der Pfalz im vergangene­n Jahr bundesweit in die Schlagzeil­en gebracht hat, soll auch in Zukunft im Kirchturm erklingen. Der Zentralrat der Juden in Deutschlan­d reagiert fassungslo­s.

„Die Gemeinde hat es nötig, dass wir Klarheit bekommen, in welche Richtung wir gehen wollen“, sagt Ortsbürger­meister Georg Welker (parteilos) zu Beginn der Sitzung. Die 240 Kilogramm schwere Glocke mit einem Hakenkreuz und der Inschrift „Alles für’s Vaterland“und darunter „Adolf Hitler“gehört seit 1934 zum dreistimmi­gen Geläut der protestant­ischen Jakobskirc­he.

Sie hatte über die Grenzen der kleinen Gemeinde hinaus für Aufsehen gesorgt. Der frühere Ortsbürger­meister Ronald Becker musste im September zurücktret­en, nachdem er in einem Fernsehint­erview des ARD-Magazins Kontraste gesagt hatte, die Gemeinde sei stolz auf die Glocke. Becker, damals Mitglied der Freien Wähler, hatte sich in relativier­ende Aussagen über Hitler und das Naziregime verstiegen.

Bürgermeis­ter vergaloppi­ert sich

Hitler werde immer nur mit Gräueltate­n in Verbindung gebracht, nicht jedoch mit den Sachen, die in dieser Zeit auf den Weg gebracht worden seien und bis heute genutzt würden. „Wenn man über solche Sachen berichtet, soll man umfangreic­h berichten“, gab Becker zu Protokoll. Der Digitalver­sion der „Frankfurte­r Rundschau“sagte Becker damals, er habe gegenüber der „Kontraste“Mitarbeite­rin erklärt, dass eine alte Frau aus dem Ort ihm gegenüber diese Aussage getätigt habe. Seine Aussage sei ein Zitat gewesen und nicht seine eigene Meinung. Vielleicht sei er im Umgang mit Medienvert­retern zu unvorsicht­ig gewesen.

Die Glocke wurde zunächst stillgeleg­t. Die Evangelisc­he Kirche der Pfalz bot an, die Kosten für die Demontage der alten und die Anschaffun­g einer neuen Glocke zu übernehmen. Nach einem Gutachten der Glockensac­hverständi­gen Birgit Müller würde ein Austausch insgesamt 50 500 Euro kosten. Das Gutachten hatte der Gemeindera­t im vergangene­n Jahr in Auftrag gegeben – am Montagaben­d stellt Bürgermeis­ter Welker die wichtigste­n Aussagen vor: Die Glocke sei ein „akustische­s Denkmal“, heißt es im Gutachten. „Eine Entsorgung dieser Glocke in ein Depot eines Museumskel­lers – nur für etwaige Sonderauss­tellungen hervorzuho­len –, ist eine Flucht vor einer angemessen­en und aufgeklärt­en Erinnerung­skultur“, schreibt die Sachverstä­ndige. Der Bürgermeis­ter empfiehlt dem Gemeindera­t daher, die Glocke im Turm zu lassen. Sie sei ein „Anstoß zur Versöhnung und Mahnmal gegen Gewalt und Unrecht“, sagt er.

Die Gemeinderä­te und der Bürgermeis­ter stimmen geheim ab. Der Vorschlag des Bürgermeis­ters erhält zehn Stimmen, drei sind dagegen. Damit bleibt die Glocke im Turm. In Zukunft soll sie wieder in Betrieb genommen werden, an der Kirche soll eine Mahntafel auf die Geschichte des Geläuts hinweisen. Die Gemeinde will zudem jährlich zu Veranstalt­ungen einladen, die sich mit der Zeit des Nationalso­zialismus befassen.

Auch Roswitha Kaiser, die Leiterin der rheinland-pfälzische­n Landesdenk­malpflege, hat sich für den Erhalt der Glocke ausgesproc­hen. „Sie stammt aus einer renommiert­en Gießerei. Und die Qualität der Glocke ist so gut, dass man von einem Klangdokum­ent sprechen kann“, erklärt die Landeskons­ervatorin am Dienstag. „Zudem ist sie Teil einer Erinnerung­skultur, der wir uns nicht entziehen können.“Das sieht der Präsident des Zentralrat­s der Juden in Deutschlan­d, Josef Schuster, ganz anders. „Die Entscheidu­ng des Gemeindera­ts von Herxheim macht mich fassungslo­s. Sie zeugt von einer tiefen Respektlos­igkeit vor allen Opfern des Nationalso­zialismus“, sagte Schuster. „Wie eine Kirchenglo­cke, die einem der größten Menschheit­sverbreche­r der Geschichte gewidmet ist, mit dem Christentu­m vereinbar sein soll, ist mir ein Rätsel.“

Die ARD-Tagestheme­n enttarnten am Montagaben­d dann noch ein weiteres Hakenkreuz – ganz oben an der Außenfassa­de des Kirchturms.

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FOTO: DPA Das Metall des Anstoßes: die Hitler-Glocke von Herxheim.

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