Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Schwanensee trifft CIA
Ab Donnerstag im Kino: Jennifer Lawrence brilliert im Spionagethriller „Red Sparrow“
Dominika Egorova (Jennifer Lawrence) ist eine erfolgreiche russische Primaballerina, als eine schwere Verletzung ihrer Ballett-Karriere ein Ende setzt. Da die junge Frau auch noch für ihre schwerkranke Mutter sorgen muss, scheint ihr keine Wahl zu bleiben: Sie lässt sich vom russischen Geheimdienst anheuern. Der sammelt besonders fähige Agenten in der Spezialeinheit namens „Red Sparrows“(Rote Spatzen). Dabei handelt es sich um junge Leute mit dem Talent, „mit allen Waffen“zu kämpfen.
Die erste Hälfte des Films schildert die Ausbildung dieser Truppe als Mischung aus Internats-Genre und Bootcamp-Film. Charlotte Rampling fungiert dabei als eiskalte Ausbilderin in den Spuren anderer „Russischer Agentinnen“Hollywoods. Ihre mit starkem russischem Akzent gesprochenen Sätze sind in der Wirkung vor allem lustig. Sie lassen diese Figur wie ein Update von Lotte Lenyas „Rosa Klebb“aus „Liebesgrüße aus Moskau“erscheinen, mit einem Hauch trockener Ironie à la „Ninotschka“. Nicht nur dadurch beschwört „Red Sparrow“die Geister des Kalten Krieges.
Die Ausbildung umfasst nicht nur klassische Gehirnwäsche, Training in psychologischer Manipulation des Gegenübers und im Aushalten von Foltermethoden. Auch der Einsatz sexueller Verführungskünste gehört dazu – und er wird fürs US-Kino ungewöhnlich explizit gezeigt und ausgebreitet: Hauptdarstellerin Jennifer Lawrence ist in „Red Sparrow“in sehr freizügigen Nacktszenen zu sehen. Auch Gewalt wird sehr offen und mit deutlich sadistisch-voyeuristischem Einschlag gezeigt. Oft genug geht es gerade um genau diesen Zusammenhang von Sex und Gewalt. Dominika ist eine Expertin auf beiden Feldern, aber keines bereitet ihr auch nur ansatzweise Vergnügen.
Mit diesem Film hat das Spionage-Kino endgültig den Hedonismus vergessen, der zumindest die frühen James-Bond-Filme durchzog. Dominika ist eine Verzweifelte. Das bleibt immer zu spüren und das unterscheidet die Figur von anderen Frauenfiguren, die in den letzten Jahren das Spionagekino höchst erfolgreich sozusagen „infiltriert“haben: ob „Salt“mit Angelina Jolie oder Charlize Theron als „Atomic Blonde“.
Regie führt Francis Lawrence, der Regisseur dreier „Hunger Games“Filme – übrigens nicht verwandt mit Jennifer Lawrence. Die „Hunger Games“-Reihe machte sie zum Filmstar. Auch die Roman-Adaption „Red Sparrow“nach dem Buch von Jason Matthews könnte – je nach Erfolg an den Kinokassen – zu einer Filmreihe ausgebaut werden. Jennifer Lawrence’ Karriere hatte zuletzt mit privaten Kabalen und dem künstlerisch und finanziellen Doppel-Desaster von Darren Aronofskys „Mother!“einen heftigen Rückschlag erlitten. In diesem Film nun brilliert sie und zeigt ihre doppelten Fähigkeiten: zum einen großes handwerkliches Können, das ihrem Auftritt erhebliche Bandbreite und immer neue Überraschungsmomente verleiht. Und zudem jenes „spezielle Etwas“, das Star-Charisma von „nur“großem Schauspiel unterscheidet.
Überlebenskampf in archaisch konstruierter Männerwelt
Zu den „Hunger Games“-Filmen gibt es deutliche Parallelen. In erster Linie schildert auch „Red Sparrow“den Überlebenskampf einer jungen Frau in einer archaisch konstruierten Männerwelt, in der es früher oder später zu Kämpfen auf Leben und Tod kommt. Um nicht verwundbar zu sein, muss die Frau sich – in der Logik des Films – in einer Kampfausbildung abhärten und zugleich mit ihren weiblichen Reizen arbeiten. Sie muss das Spiel der Verführung wie das der Verstellung lernen.
In der zweiten Hälfte werden ihre neu erlernten Talente im Praxistest erprobt: Sie muss einen CIA-Agenten kontaktieren. Die Begegnung in einem öffentlichen Schwimmbad wird zum Katz- und Maus-Spiel. Irgendwann heuert Dominika dann beim CIA an, doch lange darf man fragen, ob sie nicht doch für die andere Seite arbeitet, oder wo tatsächlich ihre persönliche versteckte Agenda liegt.
Im Unterschied zu James-BondFilmen und ihren Epigonen lebt dieser Film mehr von Thrill und Intrige als von aufwendig inszenierter Action oder touristisch ins Bild gesetzten spektakulären Schauplätzen. Zugleich fehlt „Red Sparrow“der analytische Realismus der John-LeCarréund Graham-Greene-Verfilmungen. Ein Gedankenspiel, spektakulär und unterhaltsam inszeniert.