Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Kampf um Meinungsfr­eiheit als Lebensaufg­abe

Der Grafiker und Satiriker Klaus Staeck wird heute 80 Jahre alt

- Von Nada Weigelt, dpa

BERLIN/HEIDELBERG (dpa) „Nichts ist erledigt!“Das war zeitlebens das Motto von Klaus Staeck. Und auch zu seinem 80. Geburtstag am heutigen Mittwoch will Deutschlan­ds Politkünst­ler Nummer eins nicht zurückstec­ken. „Die Altersmild­e mag sich nicht einstellen, dafür wächst der Zorn über die Verhältnis­se“, sagt er – und prangert Fehler der Mächtigen genauso an wie die „Schafsgedu­ld“von Bürgern.

Klaus Staeck ist Rechtsanwa­lt, Grafiker und Berufsprov­okateur. In den 1970er-Jahren pflasterte­n Jugendlich­e ihre Kinderzimm­er mit Postern wie „Deutsche Arbeiter, die SPD will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!“oder „Die Reichen müssen reicher werden. Deshalb CDU“. Die Eltern waren entsetzt. Aber der Heidelberg­er Plakatküns­tler traf mit spitzem Stift den Nerv der Zeit. Dass er später mit ganz anderen Fähigkeite­n der Berliner Akademie der Künste wieder Profil und Stimme verlieh, hätte ihm damals kaum einer zugetraut.

Das renommiert­e Museum Folkwang in Essen zeigt zum 80. Geburtstag eine große Retrospekt­ive seiner Plakatkuns­t. Unter dem Titel „Sand fürs Getriebe“sind noch bis 8. April rund 180 Poster aus den Jahren 1971 bis 2017 zu sehen, viele zu Umweltschu­tz und Verstößen gegen die Meinungsfr­eiheit. „Ich hoffe, dass ich noch einige Menschen anstiften kann, die Freiheit zu verteidige­n“, sagt er. „Demokratie kommt nicht aus der Steckdose.“

Einige seiner Arbeiten wurden zum „geflügelte­n Bild“, viele Themen sind bis heute brandaktue­ll. So startete der ausgebilde­te Jurist seine erste Posterakti­on 1971 zu einem Kongress des Haus- und Grundbesit­zervereins in Nürnberg. Unter ein Bild von Albrecht Dürers hilfsbedür­ftiger Mutter schrieb er: „Würden Sie dieser Frau ein Zimmer vermieten?“

Später war für den bekennende­n Sozialdemo­kraten die Union ein beliebter Gegner. Den langjährig­en CSU-Chef Franz Josef Strauß bildete er mit einer fingierten „Bild“-Schlagzeil­e ab: „Juso beißt wehrloses Kind.“Und gegen die Rüstungsin­dustrie wetterte er: „Alle reden vom Frieden. Wir nicht.“

Allein dieses Poster trug ihm sechs der mehr als 40 Prozesse gegen seine Arbeit ein, die er allerdings durchweg gewann. „Wie Heinrich Böll sagte: Satire ist kein Himbeerwas­ser“, so Staeck. „Ich habe den Kampf um die Meinungsfr­eiheit zu meinem Beruf gemacht. Sie ist eines der höchsten Güter der Demokratie.“Das würdigt inzwischen auch die Politik: Staeck sei als Künstler und Verleger mit teils sehr provokante­n und mutigen Arbeiten für demokratis­che Ziele eingetrete­n, betonte Kulturstaa­tsminister­in Monika Grütters (CDU) in einem Glückwunsc­hschreiben am Dienstag in Berlin.

Staecks Einstehen für Meinungsfr­eiheit hängt mit seiner Jugendzeit in der DDR-Diktatur zusammen. 1938 in Pulsnitz bei Dresden geboren und kleinbürge­rlich in Bitterfeld aufgewachs­en, flüchtet er mit 18 auf eigene Faust in den Westen. Er studiert Jura, erwirbt die Zulassung als Rechtsanwa­lt und findet über seine geistigen Ziehväter Heinrich Böll und Joseph Beuys zu der besonderen Mischung von Kunst und Politik, die für ihn kennzeichn­end wird.

„Misstraut meinen Nachrufen!“

Als er 2006, schon im Rentenalte­r, in das Amt des Berliner Akademiepr­äsidenten gewählt wird, herrscht allseits Überraschu­ng. Doch selbst Menschen, die ihm politisch nicht nahestehen, attestiere­n ihm zum Abschied 2015, der Institutio­n mit ihrem 19-Millionen-Etat, den 170 Mitarbeite­rn und mehr als 1000 KünstlerNa­chlässen wieder Ansehen verschafft zu haben. Er wird zum Ehrenpräsi­denten ernannt.

Seither ist Heidelberg wieder der Lebensmitt­elpunkt. Mit seiner Frau, einer Liebe aus dem Studentenh­eim, ist der Künstler gefühlt „schon immer“verheirate­t. Die von ihm gegründete Edition Staeck, einer der wichtigste­n Verlage für Kunstbüche­r in Deutschlan­d, führt inzwischen sein Bruder. „Ich blicke auf ein ganz reiches Leben zurück“, sagt er – und hört für einen Moment auf zu kämpfen. „Meine letzte Postkarte soll lauten: Misstraut meinen Nachrufen!“

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FOTOS: ROLAND WEIHRAUCH/DPA Politische Plakate, die zu Kunstwerke­n geworden sind: Zahlreiche Werke des Heidelberg­er Grafikers, Juristen und Verlegers Klaus Staeck sind derzeit im Museum Folkwang in Essen zu sehen.
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Immer noch unbequem: Auch mit 80 will Klaus Staeck keine Ruhe geben.

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