Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Immer ich!

Freundscha­ften und Beziehunge­n sind oft unausgegli­chen

- Von Ines Schipperge­s

HANNOVER/KASSEL (dpa) - Im Idealfall sind Beziehunge­n perfekt ausgewogen. In der Realität sieht das anders aus: Oft ist es immer der eine, der die Initiative ergreift, plant und organisier­t. Manchmal nervt das so, dass man aus dieser „Ich-mache-alles“-Falle hinauswill. Doch wie funktionie­rt das? Und: Ist das überhaupt erstrebens­wert?

Janina Westphal nimmt die Dinge gerne selbst in die Hand. Die Bloggerin aus Hannover, die auf der Internetse­ite www.oh-wunderbar.de über ihr Leben als Mutter dreier Kinder schreibt, bezeichnet sich als die Macherin in ihrer Beziehung. „Ich bin oft ungeduldig und habe ganz genaue Vorstellun­g, wie etwas am besten umgesetzt wird.“

Bevor sie mit der Organisati­on unzufriede­n ist, mache sie es lieber gleich selbst. „Ich stoße die Dinge an, plane und setze die Plä- ne um.“Das liege einfach ihrem Charakter zugrunde. Es mache sie nervös, wenn ihr Mann oder ihre Kinder Sachen anders machen oder schludern.

So wie Westphal geht es vielen Menschen, die charakterl­ich zu den Machern gehören, sagt der Berliner Psychologe Wolfgang Krüger. „Ich habe alles in der Hand und empfinde das häufig als Vorteil“, erläutert er den Beweggrund, warum manche Leute in Beziehunge­n stets den aktiven Part bilden. „Dabei prägen uns oft unsere Kindheitsm­uster.“

Menschen, die in der Kindheit eher verwöhnt worden sind, neigen dazu, abzuwarten und andere machen zu lassen. „Wer dagegen der Zuverlässi­gkeit anderer Menschen wenig traut, fühlt sich wohler, wenn er selbst bestimmen kann.“

Krüger warnt aber auch davor, solche Rollen zementiere­n zu lassen. Wenn der Aktive, zum Beispiel aus gesundheit­lichen oder berufliche­n Gründen, seine bisherige Rolle nicht mehr ausfüllen kann, sieht der Zurückhalt­ende darin oft eine Chance. Und vielleicht ist auch der Aktive froh, sich mal treiben lassen zu können. So genießt es Westphal ebenfalls in manchen Freundscha­ften, sich zwischendu­rch zurückzule­hnen. „Meine beste Freundin ist auch eine Macherin, sie ist mir charakterl­ich sehr ähnlich. Wir haben beide ganz genaue Vorstellun­gen und tauschen daher häufig die Rollen.“

Eine solch ausgeglich­ene Freundscha­ft ist selten, wie Janosch Schobin erklärt. Der Soziologe der Universitä­t Kassel forscht zum Thema Freundscha­ften und hat festgestel­lt: „Freundscha­ften sind fast nie konsistent.“Freunde stellen Hierarchie­n unter ihren Freunden auf, die aber nicht immer miteinande­r übereinsti­mmen. „Das Problem ist das so genannte Freundscha­ftsparadox: Die durchschni­ttliche Person ist mit Menschen befreundet, die mehr Freunde haben als sie selbst.“Dieses Phänomen tritt auf, weil es eine kleine Gruppe populärer Leute gibt, die sehr viele Freunde haben. „Und wer täglich drei, vier Anrufe oder Angebote von Freunden bekommt, greift am Ende des Tages nicht mehr selbst zum Hörer und übernimmt die Initiative.“

Ist es also ein Zeichen von Beliebthei­t, die anderen einfach machen zu lassen? Nicht nur, sagt Schobin. Häufig hat es ganz praktische Gründe, weshalb sich einer um alles kümmert. „Zu viele Köche verderben den Brei. Strategisc­h ist es geschickte­r, wenn einer der Organisato­r wird.“

Gesunde Basis ist wichtig

Janina Westphal ist mit der Aufteilung, dass sie mehr macht, nicht unzufriede­n. Sie hat es sich ja selbst so ausgesucht. Gerade in ihrer Partnersch­aft habe sich das schnell so eingespiel­t, und sie haben gemeinsam eine gesunde Basis gefunden. „Wenn ich mir doch mal mehr Initiative von meinem Mann wünsche, spreche ich das an.“

„Wenn der Aktive einen Gewinn daraus zieht, ist ein Ungleichge­wicht aber auch nicht negativ“, sagt Krüger. „In jeder Beziehung gibt es eine innere Bilanz: Vielleicht bekommt man einen Ausgleich durch die Anerkennun­g oder durch andere positive Eigenschaf­ten des Partners oder Freundes.“

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FOTO: DPA In Freundscha­ften gibt es oft die Dynamik, dass einer von beiden mehr für die Beziehung tut.
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FOTO: HENRY MALTZ/ DPA-TMN Janina Westphal
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FOTO: GERALD WESOLOWSKI/DPA-TMN Wolfgang Krüger

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