Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Viele Geschichten aus „tausendundeiner Nacht“
Amtsgericht hebt Haftbefehl gegen Angeklagten, der bei der Vorbereitung eines Anschlags geholfen haben soll, auf
BIBERACH/LAUPHEIM - Ein 20-jähriger Asylbewerber soll einem vergangenes Jahr verurteilten Syrer geholfen haben, von Biberach und Laupheim aus einen geplanten Bombenanschlag in Kopenhagen vorzubereiten. So jedenfalls lautet die Anklage der Staatsanwaltschaft Stuttgart, über die am Montag vor dem Biberacher Jugendschöffengericht in Biberach verhandelt wurde. Dort fuhr der junge Mann zumindest vorläufig einen Erfolg ein: Aufgrund der derzeit dünnen Beweislage hob das Gericht den Haftbefehl bis zum nächsten Verhandlungstag am 12. März auf. Statt in der U-Haft in Stammheim darf er die nächsten Nächte bei seinen Eltern in Laupheim verbringen.
Würden sich Balken beim Lügen tatsächlich biegen – das Biberacher Amtsgerichtsgebäude wäre am Montag wohl akut einsturzgefährdet gewesen. Beim Versuch, dem Angeklagten die „Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“nachzuweisen, bekam das Gericht von den Zeugen eine ganze Reihe von Aussagen, die sich sowohl gegenseitig als auch den Angaben bei der ersten polizeilichen Vernehmung widersprachen, aufgetischt. Wohl, um sich selbst oder den Angeklagten zu schützen. Der Vorsitzende Richter Ettwein wirkte darüber mitunter derart genervt, dass er einmal meinte: „Ich habe genug von den Geschichten aus tausendundeiner Nacht.“
Fest steht: Ein heute 22-jähriger Asylbewerber aus Syrien, der damals in einer Flüchtlingsunterkunft in Biberach lebte, hatte sich im November 2016 mit rund 17 000 Zündhölzern, einer Packung Feuerwerk, 17 Batterien, sechs Walkie-Talkies und zwei Küchenmessern auf den Weg nach Dänemark gemacht, um dort mit den Gegenständen eine Bombe zu bauen und ein Selbstmordattentat in Kopenhagen zu verüben – oder zumindest dazu beizutragen. Weil er seinen Reisepass in Biberach vergessen hatte, scheiterte der Grenzübertritt. Das Ravensburger Landgericht kam zu dem Schluss, dass der junge Mann selbst als Märtyrer sterben wollte, und verurteilte ihn zu sechs Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe (SZ berichtete).
Bei den Ermittlungen geriet ein Mitbewohner aus der Biberacher Asylunterkunft ins Visier der Justiz. Der heute 20-jährige Palästinenser soll zusammen mit dem Syrer einen kleinen Teil der Stoffe – Zündhölzer, Feuerwerksraketen und Walkie-Talkies – für den Bombenbau im „Kaufland“und im Drogeriemarkt „Müller“in Laupheim eingekauft haben. Der Angeklagte räumte ein, bei dem Kauf dabei gewesen zu sein, beteuerte aber, nichts von den terroristischen Absichten des Bekannten gewusst zu haben.
Belastendes Handy?
Richter Ettwein, die Schöffen und Staatsanwältin Marie Fischer waren bei der Beweisführung also auf die Zeugenaussagen angewiesen – und die erwiesen sich als wenig erhellend. So behauptete ein Zeuge, der bei der polizeilichen Vernehmung den nun Angeklagten sogar als „treibende Kraft“bezeichnet hatte, von den Ermittlern „falsch verstanden“worden zu sein. Ein beim Angeklagten gefundenes Handy des Syrers wurde vom Gericht als möglicherweise belastendes Indiz betrachtet. Allerdings lieferten zwei ehemalige Mitbewohner des Wohnheims und die Mutter des Angeklagten konträre Aussagen darüber, wie das Handy beim Angeklagten gelandet sein könnte.
Und dass der Syrer in dem Wohnheim als IS-Anhänger bekannt gewesen sein soll, bestätigten die ehemaligen Mitbewohner zwar, konkrete Informanten oder Vorfälle nannten sie aber nicht. Andernfalls hätte das Gericht dem Angeklagten vorwerfen können, dass er beim Kauf der Waren zumindest hätte Verdacht schöpfen können. Auch der Syrer selbst wurde am Montag als Zeuge vernommen. Er und der Angeklagte begrüßten sich freundschaftlich und lächelten sich auch während der Zeugenaussage des Syrers, der seinem Bekannten jede Mitwisserschaft absprach, immer wieder zu.
Letztlich gab Richter Ettwein dem Antrag des Verteidigers statt, den Haftbefehl gegen den Angeklagten aufzuheben. Die Beweislage sei zu dünn, um weiterhin von einem dringenden Tatverdacht ausgehen zu können. Ob sich daran etwas ändert, wenn am 12. März beim zweiten Verhandlungstag die ermittelnden Polizeibeamten in den Zeugenstand treten, bleibt abzuwarten.