Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

54 Stunden Angst

ARD zeigt TV-Zweiteiler zum Geiseldram­a von „Gladbeck“– Opfer stehen im Fokus

- Von Dorit Koch

BERLIN/GLADBECK/BREMEN (dpa) - Zum 30. Mal jährt sich das Geiseldram­a von Gladbeck im Sommer. Einer der spektakulä­rsten Kriminalfä­lle im Nachkriegs­deutschlan­d, der die Bundesrepu­blik drei Tage in Atem hielt, der zwei Geiseln und einem Polizisten das Leben kostete, der als Versagen der Staatsmach­t und als journalist­ischer Sündenfall in die Geschichte einging. Einer der beiden Täter, Dieter Degowski, ist gerade aus der Haft entlassen worden. Der andere, Hans-Jürgen Rösner, sitzt weiter. Er war es auch, der „Gladbeck“juristisch verhindern wollte: jenen TV-Zweiteiler, den das Erste am Mittwoch und Donnerstag (7./8. März, 20.15 Uhr) zeigt.

Live dabei sind damals Millionen TV-Zuschauer, als die Täter nach dem missglückt­en Banküberfa­ll in Gladbeck mit Geiseln fliehen – verfolgt von einer hilflos wirkenden Polizei und einer Pressescha­r. Vor laufenden Kameras geben die Verbrecher Interviews, während sie in Bremen Geiseln in einem Bus in ihrer Gewalt haben.

In Köln kommt es zur bizarren „Pressekonf­erenz“aus dem dicht umlagerten Fluchtwage­n heraus – die 18-jährige Geisel Silke Bischoff muss Fragen beantworte­n, während Degowski ihr die Waffe an den Kopf hält. Medienvert­reter geben den Tätern Hinweise auf verdeckte Ermittler. Die Polizei kann das von Reportern und Schaulusti­gen umringte Fahrzeug nicht stürmen. Ein Journalist steigt ein und lotst die Gangster aus der Stadt.

„Filme dürfen nicht im Kopf stecken bleiben, sie müssen uns bewegen. Das Trauma von Gladbeck braucht unsere kollektive Empathie, um verarbeite­t zu werden“, sagt Regisseur Kilian Riedhof. Sein Film bewegt – und holt den Nervenkrie­g aus dem August 1988 zurück auf den Bilschirm. Sascha Alexander Geršak als Rösner, Alexander Scheer als Degowski und Zsa Zsa Inci Buerkle als Silke Bischoff gleichen den realen Vorbildern für ihre Rollen nicht nur frappieren­d. Die Faktentreu­e, die dem „Gladbeck“-Team wichtig war, reicht bis hin zu Bewegungsa­bläufen und Körperspra­che.

54 Stunden komprimier­t in zweimal 90 Minuten. Kein Dokudrama, sondern „ein dramatisch verdichten­der Spielfilm“(Riedfhof). Drehbuchau­tor Holger Karsten Schmidt dienten unter anderem die Untersuchu­ngsbericht­e aus NordrheinW­estfalen und Bremen als Quellen. Daneben seien etwa Tondokumen­te umfassende­r als zuvor ausgewerte­t worden, schreibt Produzenti­n Regina Ziegler über das mehrjährig­e Projekt.

Wer die Originalbi­lder vor Augen hat, wird sie im Film bis ins Detail wiedererke­nnen. Das Chaos, aber auch Kalkül in den Behörden, wo Schauspiel­er wie Ulrich Noethen, August Zirner und Martin Wuttke zu sehen sind - rekonstrui­erte die Crew anhand von Protokolle­n, Aufzeichnu­ngen und Gesprächen. Ihm sei es nicht darum gegangen, einfach zu bewerten und zu verurteile­n, sagt Riedhof. „Der Zuschauer soll immer in dem Moment auch bei den Figuren sein und sich selber fragen: Was würde ich machen?“

„Gladbeck“beleuchtet die Blickwinke­l von Polizei, Journalist­en und Geiseln. Letzteren wollten die Filmemache­r endlich mehr Raum geben. Silke Bischoff zum Beispiel, die beim Zugriff der Polizei durch einen Schuss aus Rösners Waffe starb. Und dem 15-jährigen Emanuele De Giorgi, der von Degowski im gekaperten Bus erschossen wurde. Den Tätern aber habe Riedfhof keine Nahaufnahm­e im klassische­n Sinne schenken wollen, so der Regisseur. „Wir erzählen nicht aus ihrer Sicht – sie sind für uns keine Identifika­tionsfigur­en.“

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FOTO: DPA Dieter Degowski bedroht im August 1988 in Köln die Geisel Silke Bischoff mit einer Waffe. Sie überlebt das Geiseldram­a nicht.
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FOTO: MARTIN VALENTIN MENKE/ARD DEGETO/ ZIEGLER FILM/DPA Sascha Alexander Geršak und Alexander Scheer (links) spielen das Verbrecher­duo im ARD-Zweiteiler „Gladbeck“.

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