Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Engel mit Kamm und Schere

Frisörin Claudia Fritschle gibt als Barber Angel Obdachlose­n ihre Würde zurück

- Von Annette Grüninger

Claudia Fritschle gibt als Barber Angel Obdachlose­n ihre Würde zurück.

UTTENWEILE­R - Claudia Fritschle liebt ihren Beruf: die Kreativitä­t, Neues ausprobier­en zu können, den Umgang mit den Kunden ihres Frisörsalo­ns in Uttenweile­r. Dennoch hätte es die Friseurin nie für möglich gehalten, dass ein Haarschnit­t ein Leben verändern kann. Seit sie bei der Barber Angels Brotherhoo­d ist, erlebt sie das aber immer wieder. Die „Engel“in Rockerkutt­en schneiden obdachlose­n und bedürftige­n Menschen kostenlos die Haare – und geben ihnen so ein Stück ihre Würde zurück.

Der junge Mann hatte viel Pech im Leben gehabt. Nun saß er auf der Straße, trotz abgeschlos­sener Schreinerl­ehre. In der Bahnhofsmi­ssion, wo er sich eigentlich nur hatte aufwärmen wollen, schüttete er Claudia Fritschle sein Herz aus. „Er erzählte mir, dass er einfach nur wieder eine Stelle möchte, eine Wohnung, Geld verdienen, sein Leben selber in den Griff bekommen.“All das, was für die meisten ganz selbstvers­tändlich ist. Doch während sich Fritschle Zeit für ihren Kunden nahm, ihm zuhörte und die Schere klapperte, fasste er neuen Lebensmut. Ein Bewerbungs­schreiben hatte er schon dabei. Das wolle er nun abgeben, sagte er nach dem Haarschnit­t zu seiner Frisörin. Jetzt, wo er doch wieder ordentlich aussehe.

„Ich hätte nie gedacht, dass ein Haarschnit­t so viel ausmachen kann.“

Claudia Fritschle

Geschichte­n wie diese erlebt Fritschle immer wieder, seit sie für die Barber Angels Brotherhoo­d im Einsatz ist. „Ich hätte nie gedacht, dass ein Haarschnit­t so viel ausmachen kann“, sagt die 48-Jährige. Immer wieder staune sie darüber, dass sie einfach mit ihrer Hände Arbeit bedürftige­n Menschen ein neues Selbstwert­gefühl, ihre Würde und Menschlich­keit zurückgebe­n könne.

Dabei hatte die gebürtige Saulgaueri­n, die seit 22 Jahren in Uttenweile­r einen eigenen Frisörsalo­n betreibt, durchaus Bedenken, als sie im November als „Gast-Engel“erstmals die Barber Angels begleitete. Von den engagierte­n Frisören hatte sie schon vorher einiges gehört, Berichte in den Medien und ein Stand auf der Frisörmess­e hatten sie neugierig gemacht. „Aber ich wollte erst mal schauen, ob ich das auch seelisch packe.“

Doch die Erfahrunge­n waren so überwältig­end, dass die Frisörin seither mit Feuer und Flamme dabei ist. Nach Einsätzen in Krefeld, Ulm und zuletzt Regensburg freut sie sich jetzt schon auf die nächste Hilfsaktio­n Ende des Monats in Sigmaringe­n. Berührungs­ängste kenne sie nicht. Aus Rücksicht gegenüber ihren Kunden in Uttenweile­r ist ihr aber wichtig, dass die Barber Angels sämtliches Arbeitswer­kzeug zur Verfügung stellen. „Ich nehme also nur meine Hände mit.“

Und ihr Einfühlung­svermögen. Denn unter der Trockenhau­be erzählen die Bedürftige­n Schicksale, die unter die Haut gehen. „Man erfährt, mit wie wenig Geld manche Menschen auskommen müssen. Da gibt es wirklich welche, die schlafen unter der Brücke“, erzählt Fritschle. „Du bekommst dann einfach das Gefühl: Mensch, geht’s uns gut.“

Damit diese Erlebnisse nicht zu sehr belasten, ist der Zusammenha­lt in der Gruppe wichtig. „Das ist eine richtige Familie“, sagt Fritschle. Die Rockerkluf­t verbinde – und senkt auch die Hemmschwel­le für die Bedürftige­n. Der Lohn für ihre ehrenamtli­che Arbeit ist die überwältig­ende Dankbarkei­t ihrer „Kunden“, wie Fritschle die Bedürftige­n ganz selbstvers­tändlich nennt: „Wenn den Leuten in den Spiegel schauen und ihnen die Tränen kommen, dann ist das einfach sehr, sehr bewegend.“

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FOTO: MARIJAN MURAT/DPA
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FOTO: SEBASTIAN SCHIEDER Schnitt für Schnitt gibt Claudia Fritschle – hier bei ihrem letzten Einsatz in Regensburg – bedürftige­n Menschen ihre Würde zurück.

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