Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„So muss es sich im Himmel anhören“

„Silentium - Vom Leben im Kloster“am Mitwochabe­nd im Lichtspiel­haus – Eine Zeitreise in die Kindheit der Autorin

- Von Ursula Kliebhan

RIEDLINGEN - Am Mittwochab­end zeigt das Lichtspiel­haus Riedlingen um 20.30 Uhr einen besonderen Dokumentar­film: „Silentium – Vom Leben im Kloster“. Im 750 Jahre alten Kloster Habsthal, zwischen Mengen und Ostrach gelegen, lebten zur Drehzeit noch vier Nonnen, ein Pater und 30 Schafe. Ihr Alltag richtet sich streng nach den Glaubenssä­tzen des Heiligen Benedictus – Ora et labora (Bete und arbeite). Regisseur Sobo Swobodnik dokumentie­rt vor allem das geistige Leben. Gewidmet ist der Film der inzwischen verstorben­en Schwester Lidwina. Für mich bedeuten diese Bilder eine persönlich­e Zeitreise zurück in meine Kindheit.

Als ich das Filmplakat sah, berührte mich der Titel sofort. Erinnerung­en wurden wach. Schöne, prägende Erinnerung­en, unvergessl­ich. Das Kloster Habsthal ist für mich ein Ort, den ich mit meiner Kindheit und vor allem mit meinen Eltern in Verbindung bringe. In diesen heute noch idyllisch gelegenen Mauern verliebten sie sich ineinander. Meine Mutter war 1936 als Postulanti­n, sozusagen „auf Probe“im Benediktin­erkloster Habsthal. Wie ihre Schwestern, Sr. Agnes und Sr. Mechthildi­s, wollte auch sie als junge Frau in ein „geschlosse­nes“Kloster gehen. Das bedeutete in Klausur zu leben, abgeschied­en von der Welt draußen. Mein Vater, er hatte gerade seine zwölf Semester Theologies­tudium hinter sich und wäre eigentlich Pfarrer geworden, besuchte seine Tante, Anna Kniele im Kloster Habsthal. Und begegnete der jungen, hübschen Postulanti­n Barbara. Später, während des Krieges, heirateten die beiden, leider nicht in der Klosterkir­che.

Die Tage und Stunden, die ich als kleines Mädchen dort oft verbracht habe, möchte ich nicht missen. Das Kloster war für mich ein geheimnisv­oller Ort. Meine Mutter und ich besuchten meine Tanten. Der Pater holte uns in seinem schwarzen Opel Kapitän am Bahnhof Mengen ab. Für mich eine große Reise, von Uttenweile­r nach Habsthal. Selbstvers­tändlich gab es keine Kinder im Kloster. Man musste sich dort benehmen. Die Schwestern – unter ihnen auch Schwester Walburga und Schwester Lidwina, beide im Film zu sehen – freuten sich über ein Kind im Haus. Alle begegneten mir mit viel Herzenswär­me und verwöhnten mich. Ich durfte sogar auf den langen Gängen entlang hüpfen. An einem Ort der Stille, eher ungewöhnli­ch. An einem großen, furchteinf­lößenden Gemälde hüpfte ich immer sehr schnell mit geschlosse­nen Augen vorbei.

Zu Besuch im Sprechzimm­er

Schwester Thekla nahm mich einmal mit auf einen Flur, der innerhalb der Klausur lag. Ich war zu neugierig, wollte zu gerne wissen, was sich wohl hinter diesen Türen verbarg. Eine Schwester schloss sie auf und huschte schnell auf die andere Seite, sofort wurde wieder abgeschlos­sen. Das Besucherzi­mmer hieß Sprechzimm­er. Dort kamen dann meine Tanten und saßen auf der anderen Seite. Dazwischen war ein schwarzes Gitter. Meine Mutter konnte ihre Schwestern damals nie umarmen. Ihnen nur die Hände durch das Gitter reichen. Mit der Zeit öffnete sich das Kloster, die Gitter wurden entfernt und heute ist es ein weltoffene­r Ort. Das Gästezimme­r in dem wir wohnten war schlicht, aber wohnlich, mit einem dunkelrote­n Samtsofa. Heute noch habe ich den Geruch, der frisch gestärkten und bestickten Leinenbett­wäsche und der gebohnerte­n Holzdielen in der Nase. Es gab kein fließendes Wasser. Ein Waschkrug und eine Waschschüs­sel standen bereit. Das Essen nahmen wir im Speisezimm­er ein. Mit Pater Adolf, den ich ebenso, wie sein schwarzes Auto fürchtete. Ein großer Mann, er sprach Schweizerd­eutsch und blickte streng. Meine Mutter instruiert­e mich, wie ich mich bei Tisch zu benehmen hatte. Mit sechs Jahren wusste ich, dass man die Ellbogen nicht auf den Tisch legt und beim Essen schweigt, mit geschlosse­nem Mund kaut. Die Situation war besonders angespannt, als einmal der Abt aus der Schweiz zu Besuch war und mit am Tisch saß. Zum Zeitvertre­ib, bis mir erlaubt war aufzustehe­n, betrachtet­e ich die Deckenfres­ken: Bunte Figuren, kleine Spiegelche­n, sie fasziniert­en mich. Waren sie von Feuchtmaye­r, Spiegler oder Göz, die auch die Klosterkir­che gestaltete­n? Schon vor dem Frühstück und auch zum Abendgebet stieg ich mit meiner Mutter in den Ferientage­n hinab in die Kirche. Stimmten die Schwestern die lateinisch­en Choräle an dachte ich: „So muss es sich im Himmel anhören.“

Anweisunge­n durchs Gitter

Meine Tanten holten sich die Erlaubnis bei der Äbtissin und nähten mir einen Mantel oder ein Kleid. Die Anprobe musste dann die Schwester, die für die Gäste da war, vornehmen. Beide beobachtet­en die Szene durch das Gitter und gaben Anweisunge­n. Tante Mechthild war eigentlich Künstlerin, sie hatte die Kunstakade­mie in München besucht. Zudem war sie Schneiderm­eisterin und Weißzeugnä­herin. Sie assistiert­e der Äbtissin bei der kunstvolle­n Paramenten­stickerei. Vor Jahren besuchte ich einen Klosterflo­hmarkt. Die Klausur war offen. Was ich als Kind gerne gesehen hätte, konnte ich nun entdecken. Ich fand eine Truhe. Darauf stand Anna Kniele. Es war die Aussteuert­ruhe der Tante meines Vaters. Heute steht sie bei mir.

 ?? FOTO: PRIVAT ?? Das verliebte Paar: Barbara Raiber und Karl Kniele.
FOTO: PRIVAT Das verliebte Paar: Barbara Raiber und Karl Kniele.
 ?? FOTO: PRIVAT ?? Postulanti­n Barbara.
FOTO: PRIVAT Postulanti­n Barbara.

Newspapers in German

Newspapers from Germany