Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Der Bart ist ab

Willi Chevalier aus Sigmaringe­n trennt sich bei seiner Geburtstag­sfeier nach Jahrzehnte­n von seinem Weltmeiste­rbart

- Von Corinna Wolber und Patrick Laabs

SIGMARINGE­N - Für seine Freunde und Verwandten völlig überrasche­nd hat sich Willi Chevalier am Samstagabe­nd von seinem vielfach prämierten Bart getrennt.

Was er selbst von langer Hand geplant hatte, wurde bei seiner Geburtstag­sparty zum Coup: „Alle gehen davon aus, dass es eine ganz normale Feier wird“, hatte der 76-Jährige vergangene Woche in der Sigmaringe­r SZ-Redaktion gesagt, die er unter dem Siegel der Verschwieg­enheit in seine Pläne eingeweiht hat. Doch gegen 18.30 Uhr legten er und Teile seiner Familie selbst Hand an und entfernten die weltmeiste­rliche Gesichtsbe­haarung komplett. Doch warum das Ganze? „Alles hat seine Zeit, und nun ist eben die Zeit für etwas anderes gekommen.“Doch nicht alle Familienmi­tglieder fanden die Idee Chevaliers gut. „Einige haben mir schon deutlich zu verstehen gegeben, dass sie die ganze Aktion nicht witzig fanden“, sagte er am gestrigen Sonntag. Deshalb falle es ihm auch noch schwer, sich über sein neues Aussehen zu freuen. Die Misstöne müsse er jetzt erst einmal sacken lassen.

Einen Bart habe er eigentlich schon immer gehabt, „anfangs einen Kinnbart“, sagt er. Doch das änderte sich, als Willi Chevalier aus einer Laune heraus irgendwann in den 1980ern mit dem Rauchen aufhörte. Während andere nach einem solchen Schritt im Essen eine Ersatzbefr­iedigung finden, „habe ich mir eben einen Bart wachsen lassen. Das war mein Ersatz“.

1996 holte Chevalier seinen ersten Titel und wurde Sigmaringe­r Stadtbartm­eister. Noch im selben Jahr belegte er den dritten Platz bei der deutschen Bartmeiste­rschaft, und danach folgten eigentlich nur noch Plätze ganz oben auf dem Siegertrep­pchen. Ob deutsche Meistersch­aften, Europa- oder Weltmeiste­rschaften: Willi Chevalier gewann sie alle. Disziplin: Kinnbart Freistil. Seine Bartfrisur: frei erfunden und unverwechs­elbar.

Selbst Rückschläg­e brachten ihn nicht aus der Spur. 2003 konnte er nicht an der Weltmeiste­rschaft teilnehmen, weil er mit seinem Bart nach einem Unfall mit Gesichtsve­rletzungen praktisch bei Null anfangen musste. „Aber 2005 bin ich dann in Berlin schon wieder Weltmeiste­r geworden.“

Wie viel Shampoo und Haarlack er im Lauf der Jahre verbraucht hat, das kann Willi Chevalier beim besten Willen nicht beziffern. Wenn er seinen Bart für einen Wettbewerb in einer rund dreistündi­gen Prozedur in Form bringen musste, benutzte er im Schnitt zwei Dosen Haarlack. Doch auch der Alltagsbar­t brauchte viel Zuwendung: „Ich wasche ihn jeden Tag mit Shampoo und föhne ihn glatt“, sagt Chevalier. Damit er ihn gleichzeit­ig in Form bringen und trocknen konnte, hat der 76-Jährige sogar einen Föhn-Apparat erfunden, für den er keine freie Hand brauchte.

Hätte Willi Chevalier seinen Bart nicht gehabt, wären ihm in seinem Leben viele Abenteuer entgangen – davon ist er überzeugt. Seien es die Reisen in die USA (wo er natürlich auch Preise abräumte) oder Auftritte in verschiede­nen Fernsehsho­ws: „Das habe ich alles meinem Bart zu verdanken.“Der brachte ihm sogar eine Reise nach Ghana ein. Vor rund 15 Jahren zeigte Chevalier, der unter anderem auch Tanzstunde­n gibt, einem Ghanaer in Sigmaringe­n Standardtä­nze. Dessen Sohn war damals im hiesigen Krankenhau­s in Behandlung.

2003 lud er Chevalier dann nach Ghana ein, damit dieser auch dort einen Tanzkurs gibt. „Am Flughafen wurden wir aber mit einem regelrecht­en Staatsakt empfangen. Presse und Fernsehen waren da, sogar eine Blaskapell­e hat gespielt“, sagt Chevalier. Mit dem Tanzen habe das nichts zu tun gehabt: „Das war alles mein Bart.“

 ?? FOTO: THOMAS WARNACK ?? Ein neuer Mensch: „Ich erkenne mich im Spiegel selbst nicht“, sagt Willi Chevalier.
FOTO: THOMAS WARNACK Ein neuer Mensch: „Ich erkenne mich im Spiegel selbst nicht“, sagt Willi Chevalier.
 ?? FOTO: FRANZISKA KRAUFMANN/DPA ?? Nur einer von unzähligen Titeln: 2013 wird Willi Chevalier bei den BartWeltme­isterschaf­ten in der Kategorie „Kinnbart Freistil“Weltmeiste­r.
FOTO: FRANZISKA KRAUFMANN/DPA Nur einer von unzähligen Titeln: 2013 wird Willi Chevalier bei den BartWeltme­isterschaf­ten in der Kategorie „Kinnbart Freistil“Weltmeiste­r.
 ?? FOTO: THOMAS WARNACK ?? Ein letzter Blick in den Spiegel – mit Bart.
FOTO: THOMAS WARNACK Ein letzter Blick in den Spiegel – mit Bart.

Newspapers in German

Newspapers from Germany