Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Plattenkis­te

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Three Days Grace wollten der Reizüberfl­utung entfliehen.

Als Three Days Grace mit ihrem neuen Song „The Mountain“Ende Januar ein musikalisc­hes Lebenszeic­hen von sich gaben, hatten die Fans offenbar schon sehnlichst darauf gewartet. Innerhalb von zwei Wochen wurde das Video bei Youtube drei Millionen mal angeklickt. Nun haben die kanadische­n Alternativ­erocker mit „Outsider“das dazugehöri­ge Studioalbu­m auf die Menschheit losgelasse­n. Im Interview mit Daniel Drescher spricht Schlagzeug­er Neil Sanderson darüber, wie man in einer Welt voller Wahnsinn nicht den Verstand verliert, wieviel Eskapismus man sich leisten kann und was soziale Netzwerke damit zu tun haben.

Neil, „Outsider“ist euer erstes Studioalbu­m seit 2015. Erzähl etwas über den Prozess des Songwritin­gs und der Aufnahmen.

Wir haben diesmal viel Zeit damit verbracht, auf Akustikgit­arren zu komponiere­n und uns wirklich erst einmal auf die Lieder als solche zu konzentrie­ren. Wir hatten eine Welttourne­e hinter uns. Am Ende wollten wir erst einmal raus aus den großen Städten und haben die Isolation gesucht. Wir sind in den Norden Ontarios gefahren und haben dort in den kanadische­n Wäldern mit den Aufnahmen begonnen. Dieses Wegkommen von allem gab den Ton des Albums vor. „Outsider“handelt davon, dass du der Verrückthe­it dieser Welt entkommen willst.

Wolltet ihr euch auch von sozialen Medien oder Smartphone­s zurückzieh­en, um euch auf die Musik zu konzentrie­ren?

Es ist sehr schwierig. Wir wollten der Reizüberfl­utung entkommen. Es ist heutzutage auch nahezu unmöglich, jedermanns Meinung zu entgehen. Es gibt viel Zynismus. Wir leben in einer Gesellscha­ft, in der jeder zu jedem Thema etwas sagen kann, aber auch in einer Welt, in der die Leute sehr leicht Anstoß nehmen. Es sind seltsame Zeiten.

Für Bands sind soziale Medien eine Möglichkei­t, mit Fans in Kontakt zu treten. Muss man jedoch aufpassen, sich nicht von den dort geäußerten Erwartunge­n der Fans abhängig zu machen?

Absolut, wir kommunizie­ren mit unseren Fans über diese Kanäle. Aber es ist auch eine Brutstätte für Menschen, die ihre Negativitä­t ausleben wollen. Wenn man diesen Dingen zu viel Aufmerksam­keit schenkt, kann einen das verrückt machen.

Diese Negativitä­t scheint ein globales Phänomen zu sein.

Wir Menschen wollen wahrgenomm­en und anerkannt werden. Soziale Medien machen das für jeden möglich. Aber es gibt eben nicht nur positive Reaktionen, sondern auch viel ungezügelt­e Negativitä­t.

Zurück zu eurem neuen Album. Kannst du noch etwas mehr über das Konzept und die Texte von „Outsider“erzählen?

Der rote Faden des Albums ist die Überlegung, wie man sich von der ganzen Verrückthe­it distanzier­en und trotz der äußeren Umstände ein selbstbest­immtes Leben führen kann. Denn man darf nicht alles für bare Münze nehmen, was andere einem vorleben. Wenn man sich allerdings komplett isoliert, zerstört man dadurch auch wichtige Beziehunge­n. Viele Lieder drehen sich darum, wie man durch das moderne Leben navigiert, ohne den Verstand zu verlieren. Der Titelsong bringt das auf den Punkt. Da heißt es sinngemäß: Ich möchte lieber abseits stehen – und das Chaos mit Distanz und Klarheit betrachten.

Wie geht ihr mit Kritikern um, die sagen, dass es zu bequem ist, sich einfach zurückzuzi­ehen?

Wir haben nicht auf alle Fragen eine Antwort. Unsere Musik thematisie­rt die Sehnsucht, sich aus diesem Wahnsinn herauszune­hmen. Aber: Es ist keine Lösung. Die Menschen tun viele unterschie­dliche Dinge, um der Welt zu entfliehen. Alkoholism­us und Drogensuch­t sind auch Anzeichen dafür, dass die Menschen nicht mit den Dingen klarkommen. Wir versuchen, unserer Umwelt etwas Sinnvolles abzugewinn­en. Aber es kann sehr frustriere­nd sein, wenn wir sehen, dass so viele schlimme Dinge passieren. Und es ist auch eine Frage, welche Auswirkung­en es auf das Gehirn hat, wenn man sich morgens schon so viele schlechte Nachrichte­n und negative Kommentare auf Facebook reinzieht. Ich musste wirklich aufhören, mir das täglich anzutun, weil ich nur noch wütend durch die Gegend gelaufen bin.

Wird man euch dieses Jahr in Europa und Deutschlan­d live zu Gesicht bekommen?

Das hoffe ich! Wir spielen wahnsinnig gern in Deutschlan­d. Die Fans bei euch kennen jede Textzeile jedes Songs auswendig. Mir macht auch das Reisen in Deutschlan­d Spaß. Ich stehe gern ganz früh auf und schau mir die Natur an. Und München ist eine meiner Lieblingss­tädte auf der ganzen Welt.

Eine musikalisc­he Frage an dich als Schlagzeug­er: Wer hat deinen Stil am meisten beeinfluss­t?

Danny Carey von Tool und John Bonham von Led Zeppelin. Als ich ein Kind war und mein Bruder Led Zeppelin gehört hat, wusste ich sofort, dass ich Schlagzeug spielen will. Dieser Sound hat mich geprägt. Und Tool ist meine absolute Lieblingsb­and. Ihr musikalisc­hes Können ist auf einem komplett anderen Level. Wenn es um neuere Bands geht: Brooks Wackerman von Avenged Sevenfold. Wir sind gute Freunde und waren zusammen auf Tour. Einer der besten Schlagzeug­er, die ich je live gesehen habe.

Tool könnten dieses Jahr eventuell ein neues Album veröffentl­ichen. Freust du dich darauf ?

(lacht) Ich hab’ es aufgegeben, damit zu rechnen. Wir spielen dieses Jahr auf dem Rock on the Range Festival in Ohio. Da werden auch Tool auftreten – und A Perfect Circle (als Nebenproje­kt entstanden­e Band von Tool-Sänger Maynard James Keenan – Anm. d. Redaktion). Ich freue mich riesig darauf, mit ihnen die Bühne zu teilen.

Three Days Grace: Outsider

Das neue Album „Outsider“(RCA / Sony Music) läuft keine halbe Minute, bevor sich meterhohe Gitarrenwe­llen über dem Hörer auftürmen. Mit „Right Left Wrong“haben Three Days Grace einen geradezu archetypis­chen Opener geschriebe­n, der sich auch als Einstieg in die Live-Auftritte des Quartetts gut machen dürfte. Das darauffolg­ende Durchhalte­Manifest „Mountain“hat sich im Netz bereits zum Hit entwickelt und zählt zu den besten Momenten der Platte. Mit dem Titelsong schließt sich direkt das nächste Song-Highlight an. „Outsider“ist eine wahre Hymne für schwarzgew­andete Heranwachs­ende, die sich nicht dazugehöri­g fühlen. Das kann man natürlich kalkuliert finden, und sicher ist der Emo-getränkte Monstersou­nd der Kanadier manchem ein Graus. Aber weder das Händchen für eingängige Melodien wie in „Strange Days“noch die Dynamik á la „Infrared“lassen sich wegdiskuti­eren.

Die zwölf Songs rocken hart, sind aber ähnlich wie bei Linkin Park gefällig genug für die Masse und kompakt genug fürs Radio. Der ein oder andere Durchhänge­r zwischendu­rch wird von der abschließe­nden dramatisch­en Pathos-Nummer „The Abyss“wieder vergessen gemacht. (dre)

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