Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Eine Verabredung mit Maria
Hunderte Gläubige haben am Samstag im oberbayerischen Unterflossing auf die Muttergottes gewartet
UNTERFLOSSING - Samstagmittag halb zwei in Unterflossing. Die ersten sind schon da, haben es auf die Parkplätze mit dem kürzesten Fußweg abgesehen. „Es kommen halt viele alte Leute, die nicht weit laufen können“, erklärt eine rotbackige Frau und berührt den Arm der Reporterin. „Kommen Sie auch? Ja? Das ist schön.“
Sie haben Klappstühle, Rucksäcke und Blumen dabei. Sie schlüpfen in Extra-Wollsocken und Moonboots, sie zwängen sich, an den Kotflügel gelehnt, samt Cordhose in die Skihose. Der Wind pfeift eisig an diesem Nachmittag in Unterflossing, jenem oberbayerischen Örtchen mit etwa hundert Seelen und einer Kapelle, die sich neuerdings als überregionaler Treffpunkt für Mariengläubige etabliert. Es ist nun schon das dritte Mal, dass Maria hier mithilfe von Kontaktpersonen sprechen soll – und dass sie es tun wird, um Punkt 16.30 Uhr, davon sind die Anreisenden aus ganz Bayern, aus Österreich und Oberschwaben überzeugt. Ein gutes Dutzend Journalisten will zusehen, darunter russische TV-Leute. Ein Reporter der „Bild“-Zeitung sendet alles live per Smartphone.
Schon von Weitem hört man Gesänge, Lautsprecher übermitteln das Geschehen aus der Kapelle. Sie liegt in einer Kurve der Hauptstraße, da, wo man nach Oberflossing abbiegt, wo Einheimische nie blinken. Nachbarn haben mit rot-weißem Flatterband markiert, bis wohin Marias Getreue maximal vordringen dürfen. Eine Frau verteidigt die Zufahrt zu ihrer Wiese, indem sie sich mitten hineinsetzt. Ein anderer Nachbar macht sich demonstrativ erst mal ein Bier auf und lehnt sich an den Zaun. Helfer mit gelben Armbinden versuchen, Autos zu dirigieren. Erich Neumann, Organisator, Pressesprecher und Facebookseiten-Betreiber in Personalunion, seufzt: Feuerwehr und Hilfsorganisationen hätten abgesagt, vermutlich wegen der Positionierung der Kirche. Ein Polizeiauto hat ein paar Hundert Meter entfernt angehalten und fotografiert Falschparker.
Sechs Euro für den Rosenkranz
Ein erster Reisebus stoppt vor der Kapelle. Das Areal, das an manchen Ecken noch nach Baustelle aussieht, füllt sich. Die meisten Gäste versammeln sich um eine nagelneue weiße Marienstatue. Ein Rosenkranz kostet sechs Euro, sonst ist kaum Kommerz. Gratis werden Infoschriften und Flugblätter verteilt, auf denen es etwa um Handkommunion versus Mundkommunion geht – geschrieben mit konservativer Position.
Eine Frau mit Prada-Handtasche bugsiert ein Blech mit heißer Pizza durch die Menschen, verschenkt Stück für Stück. Das wird sie noch stundenlang machen, der Backofen glüht in einem Bauwagen hinter der Kapelle. Daneben ein Dixi-Klo sowie ein ältlicher Wohnwagen, Aufschrift „199 Euro pro Woche“. Darin wartet Salvatore Caputa, der Seher, und empfängt Journalisten.
Marienlieder erklingen aus den Boxen. Es sind viele ältere Menschen da, aber auch ganz junge. Man sieht Rollstühle und Kinderwagen, abgetragene Parkas und Pelzmäntel. Manche Angereisten wirken andächtig versunken in ihren mit Decken umhüllten Klappstühlen, andere frieren primär. Eine sehr alte, gebeugte Frau mit golden geblümtem Kopftuch kniet sorglos im Matsch, vor einem großgewachsenen Mann, der eine schwarze Soutane unterm Parka trägt und von Weitem wie ein Geistlicher wirkt. Er segnet sie. Darf er das? „Das ist ein von der Amtskirche geschasster Kaplan“, erklärt Erich Neumann, also kein echter Pfarrer. Man halte sich an die Vorgaben der Diözese: „Wir gehen auf keinen Konfrontationskurs, wir sind sehr friedlich.“
Wenige Meter weiter macht Nachbar Gerhard Bauer mit dem Feuerzeug das nächste Bier auf. Eigentlich sind seine Freunde gekommen, alle in Arbeitshosen, weil sie zusammen etwas am Haus machen wollten. Muss nun ausfallen wegen Maria. „Ois damisch“, sagt er. Sein neuer Nachbar, der die Kapelle gekauft hat und Maria zur Verfügung stellt, „ist für mich nicht ganz sauber. Der will hier ein zweites Altötting machen.“
Viele eisige Böen und Marienlieder später, es ist kurz nach 16 Uhr, singen die rund 300 Gläubigen das Vaterunser. Dann weht erstmals Rosenduft. Rosenduft signalisiert Marias Präsenz, heißt es, er wurde in Unterflossing bei früheren Terminen schon wahrgenommen. Der Rosenduft beginnt just, als Salvatore Caputa seinen Wohnwagen verlässt. Der Reporter der „Bild“-Zeitung wird später Ärger bekommen, als er Besucherinnen fragt, ob dieses Rosenaroma nicht vielleicht nach billigem Drogeriespray rieche. Für diese Frauen ist alles echt, alles Maria. Erich Neumann räumt ein, dass wohl jemand nachgeholfen hat.
Es wird sehr still, als Salvatore Caputa seinen Platz vor der Marienstatue einnimmt, nur die Fotoapparate klicken hektisch. Er hat ein großes Kreuz um den Hals und einen Rosenkranz in der Hand, wendet seinen Blick gen Himmel, hoch konzentriert und ernst. Einmal huscht kurz ein Lächeln über sein Gesicht, und er hebt die Hand zum Gruß. Es vergehen sechs, sieben Minuten, in denen er manchmal die Lippen tonlos bewegt, sich hinkniet, bekreuzigt, erhebt, wieder gen Himmel schaut. Rosenduft, deutlich. Dann ist es vorbei, Caputa zieht sich wieder zurück, um wie jedes Mal zu notieren, was Maria ihm angeblich aufgetragen hat. Kurz nach 17 Uhr wird es verkündet und übersetzt. Habt einander lieb und lebt in Frieden, lässt sie demnach ausrichten, öffnet euch Gott. Und: „Ich wünsche euch in jeder Heiligen Messe eine Gotteserfahrung.“
Eine individuelle Erscheinung
Die Gläubigen scharen sich um einen Pumpbrunnen, der kaum Wasser abgibt, aber sie pumpen geduldig, viele haben Kanister dabei. Manche stellen sich gern vor Kameras. „Ich habe sie gesehen!“, ist eine Frau ganz begeistert. Auf mehrfache Nachfrage erklärt sie, was sie sah: „Salvatore schaut ihr immer hinterher, wenn sie wieder geht. Sie macht einen Bogen“, sie beschreibt ihn mit der Hand. „Ich bitte ja auch immer um ein Zeichen – und dann sind zwei Vögel genau in Marias Flugbahn geflogen!“Christina Agerer-Kirchhoff kommt jedes Mal extra aus München: „Ich finde das anrührend hier, muss aber gestehen, dass ich nichts gespürt habe.“Ihr gefällt, dass hier viel mehr junge Leute mitbeten als in den Pfarreien. Man geht lächelnd und mit guten Wünschen auseinander.
Petrus scheint zu all dem eine ganz eigene Meinung zu haben. Zum saukalten Wind kommt nun Regen. Die Busse sind wieder vorgefahren, das Gelände leert sich rasch. Bald hat Unterflossing wieder ein halbes Jahr himmlische Ruhe.