Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Ein gläubiger und loyaler Kirchenrebell: Hans Küng wird 90
Die Bücher des Schweizer Theologen erreichten Millionenauflagen – Vordenker des modernen Christentums
TÜBINGEN - Professor Hans Küng kam im schnittigen Alfa Romeo zur Vorlesung gefahren, Professor Joseph Ratzinger radelte auf einem schwarzen Drahtesel zur KatholischTheologischen Fakultät der Universität Tübingen: So erzählen es Studenten seit über 50 Jahren und erinnern sich an die wohl theologisch interessantesten Diskussionen im deutschen Sprachraum.
Mit Küng und Ratzinger lehrten dort zwei Theologen, die von der Persönlichkeit her unterschiedlicher nicht sein konnten. Elegant wie ein Skilehrer, charmant, gelegentlich aufbrausend: So trat der Schweizer Küng auf. Zurückhaltend wie ein Diplomat, etwas scheu und still war der Bayer Ratzinger unterwegs.
Intellektuelle Brillanz, Erfahrungen als die damals jüngsten Konzilstheologen brachten beide Professoren mit. Ihre Wege gingen später auseinander: Hans Küng feiert heute seinen 90. Geburtstag und gilt als Kirchenrebell, während Joseph Ratzinger in wenigen Wochen 92 Jahre alt wird und in der Kirche Karriere machte. Seit fünf Jahren lebt Ratzinger – Papst Benedikt XVI. – im Ruhestand im Vatikan.
Auch Hans Küng hätte, wie er immer wieder betont, Chancen gehabt, Bischof, vielleicht sogar Kardinal zu werden. Damals, in den 1960er-Jahren, hatten Kardinäle wie Josef Frings in Köln oder Julius Döpfner in München erkannt, dass Küng mit seiner modernen Theologie junge Menschen zum Glauben bringen konnte. „Was dürfen wir hoffen? Wozu sind wir auf Erden? Was soll das Ganze?“, fragt Küng. Christ sein heißt für ihn „wahrhaft Mensch zu sein“. Küngs Bücher wie „Existiert Gott?“oder „Christ sein“sind bis heute Bestseller und in 30 Sprachen übersetzt.
Doch es kam anders. Dabei hatte der gebürtige Schweizer zunächst eine Priesterkarriere eingeschlagen. Geboren wurde Küng am 19. März 1928 als Sohn eines Schuhhändlers in Sursee in der Schweiz. Mit 20 ging er an die Päpstliche Uni in Rom, 1960 wurde er Professor in Tübingen, wo er bis heute lebt.
Seit Anfang der 1960er-Jahre, also schon vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-65), entwickelte sich ein Konflikt Küngs mit den Bischöfen, in dessen Mittelpunkt die Unfehlbarkeit des Papstes, aber auch Grundfragen des Glaubens standen. Küng plädierte für innerkirchliche Erneuerung und ökumenische Öffnung mit dem Ziel der Vereinigung der Kirchen. Dennoch kam die Berufung zum Berater des Konzils. Unermüdlich erinnerte Küng später an die dort gefassten reformorientierten Beschlüsse und beklagte sich bitterlich, dass Papst Johannes Paul II. und Benedikt XVI. die Kirche wieder auf einen konservativeren Kurs lenkten.
Den Höhepunkt des lange schwelenden Konflikts zwischen Küng und dem Vatikan stellte 1979 der Entzug der Lehrerlaubnis dar. Die Konsequenz: Als Novum in der Universitätsgeschichte erhielt Küng einen fakultätsunabhängigen Lehrstuhl für Ökumene.
Hatte Papst Johannes Paul II. geglaubt, Küng mit diesem Schritt kaltstellen zu können, so hatte sich der Pole gründlich geirrt. Küng, der sich nach eigenem Bekunden als „loyaler katholischer Theologe“verstand, gewann ungeheuer an Popularität.
All die großen Probleme wie der Priestermangel, der Mitgliederschwund oder der Skandal um sexuellen Kindesmissbrauch durch katholische Geistliche – für Küng sind sie die Folge einer ausufernden päpstlichen Macht.
Auf die Bibel konzentrieren
Sein Gegenprogramm: Die katholische Kirche müsse sich wieder ganz auf die Bibel konzentrieren. Dort stehe nichts davon, dass Priester im Zölibat leben müssten oder dass Frauen keine Priester werden dürften. „Wenn Jesus von Nazareth wiederkäme, würde er weder die Pille verbieten noch die Geschiedenen zurückweisen“, sagte er einmal.
In den vergangenen Jahren hat sich Küng seinem Herzensanliegen, der „Stiftung Weltethos“gewidmet und sucht nach ethischen Normen, die die Menschen konfessionsübergreifend verbinden.
Die Wege Küngs und Ratzingers, die sich 1969 mit Ratzingers Berufung nach Regensburg getrennt hatten, trafen sich übrigens 2005 wieder: Um das „Projekt Weltethos“ging es bei ihrem Gespräch zwischen dem Professor und Papst Benedikt XVI. kurz nach dessen Wahl zum Kirchenoberhaupt. Das laut vatikanischem Kommunique „brüderliche Gespräch“war so etwas wie eine gegenseitige Anerkennung.
Küng ist glücklich, dass er den heutigen Geburtstag trotz fortschreitender Parkinsonkrankheit noch bewusst erleben kann, und will in seiner Wohnung mit den engsten Freunden und Weggefährten feiern.
Dass ihm Bundespräsident FrankWalter Steinmeier gratulierte, wird Küng gefreut haben. Auch die Würdigung des Bischofs von RottenburgStuttgart, Gebhard Fürst, verschafft ihm Genugtuung. Dass aber ausgerechnet die Katholisch-Theologische Fakultät in Tübingen, aus der er 1979 ausgeschlossen wurde, einen Festakt zu seinen Ehren veranstaltet, dürfte Küng ein wenig versöhnen: Nun hofft er, trotz der Parkinsonkrankheit, am 21. April dabei sein zu können.