Schwäbische Zeitung (Riedlingen)
Mehr Referendum als Wahl
Russland bestimmt Wladimir Putin mit über 70 Prozent abermals zum Präsidenten
MOSKAU - „Guten Morgen, aufstehen und wählen gehen an diesem sonnigen Tag!“meldete sich der Conferencier vom gegenüber liegenden Wahllokal 1776. Es war 8.30 Uhr und die Sonne schien; blauer Himmel, wolkenlos. Moskauer Zarenwetter. Schunkelmusik und Sowjetschlager setzten ein und die ersten Tänzer bewegten sich in der sonnig winterlichen Morgenkühle. „Kommen Sie und wählen Sie unseren Präsidenten“, ließ sich der DJ davontragen und empfahl auch gleich wen. „Wladimir Putin! „Es war ihm einfach rausgerutscht und nicht als Verstoß gegen das Reglement gedacht. Putin hatte just in diesem Moment ein paar hundert Meter weiter am Leninskij Prospekt gewählt. Für den Kremlchef eine ungewöhnlich frühe Zeit. Eigentlich ist er Spätaufsteher.
Diesmal sei es eine Wahl für Frühaufsteher gewesen, meinte der Antikorruptionskämpfer, Alexei Nawalny, den der Kreml zur Wahl nicht zugelassen hatte. Denn die Wähler wurden zentral eingesammelt und morgens zu den Urnen gefahren.
Die Abstimmung im größten Land der Erde am Sonntag war von den Behörden weniger als Wahl angelegt, sondern vielmehr als Referendum über die Zustimmung zu Putin (65). Mit allen erlaubten und einigen verbotenen Mitteln, wie Druck am Arbeitsplatz, wurden Wähler an die Urnen gebracht.
Den Wahltag über verbreiteten die Behörden Jubelmeldungen, dass die Beteiligung höher liege als bei der Wahl 2012. Und als politisches Signal wurden in ersten Ergebnissen Zahlen von fast 73 Prozent der Stimmen für den Kremlchef verkündet – sein bislang bestes Resultat.
Der kommunistische Präsidentenkandidat Pawel Grudinin hat nach ersten Auszählungen mit knapp 16 Prozent den zweiten Platz bei der Wahl in Russland erreicht. Dahinter liegt der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski mit knapp sieben Prozent. Die liberale TV-Journalistin Xenia Sobtschak schaffte demnach 1,4 Prozent. Die restlichen vier Kandidaten bekamen jeweils weniger als ein Prozent der Stimmen.
Auch wenn an dem Ergebnis gedreht worden sein mag, steht außer Frage, dass Putin Rückhalt hat in der russischen Bevölkerung. „Putin verkörpert die Hoffnungen jeder einzelnen gesellschaftlichen
Gruppe. Er ist der wichtigste
Liberale, Nationalist, Imperialist und Sozialist“– so deuten die Experten Andrej Kolesnikow und Denis Wolkow vom Moskauer Carnegie-Zentrum eine Umfrage.
Boykott zog nicht
Jeden ernsthaften politischen Wettbewerb hatte Putin aber schon vorher unterbunden. Der vom Antikorruptionsaktivisten Alexej Nawalny ausgerufene Wahlboykott zog nicht. Nawalny, der hart im Nehmen ist, wird die Führung trotzdem weiter herausfordern.
Mit dem bekannten Gesicht an der Spitze des Staates wird nach dem Wahltag vieles sein wie vorher – auch die Konfrontation mit dem Westen. Putin präsentiert sich als Oberbefehlshaber, der sein Land vor Feinden schützt. Stolz zeigte er Anfang März neue Atomraketen.
Als Signal hatte er die Wahl auf den Jahrestag der Einverleibung der Krim 2014 legen lassen. Die Annexion der ukrainischen Halbinsel wird von fast keinem Staat völkerrechtlich anerkannt. Ein gutes Ergebnis auf der Krim sei für Putin wie ein zweites Referendum in dieser Frage, sagte Chefredakteur Alexej Wenediktow vom Radiosender Echo Moskwy.
Der Streit wegen der russischen Übergriffe auf die Ukraine ist weiter ungelöst. Verhandlungen über eine internationale Friedenstruppe für das Kriegsgebiet im Osten der ExSowjetrepublik kommen nicht voran. Sanktionen belasten Russland wie auch die Wirtschaft in der EU.
Nun geht Putin in das 19. Jahr seiner Herrschaft als Präsident oder Ministerpräsident. Er hat den letzten Langzeitchef im Machtzentrum Moskaus überrundet – Leonid Breschnew, der von 1964-82 regierte.