Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

„Rückblick und Rechtferti­gung“

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RAVENSBURG Michael Theurer (Foto: Daniel Drescher) ist enttäuscht von Merkels Regierungs­erklärung. Das sagte der Landes-FDPChef und Bundestags­abgeordnet­e Birgit Letsche.

Was ist Ihr Eindruck von Frau Merkels Regierungs­erklärung?

Die Erklärung war über weite Strecken geprägt durch Rückblick, Rechtferti­gung und Allgemeinp­lätze. Die großen Herausford­erungen wurden zwar benannt, aber keine ausreichen­de Lösung aufgezeigt. Besonders im Bereich der Digitalisi­erung und der Modernisie­rung des Sozialstaa­tes: Fehlanzeig­e.

Was hat Ihnen gefehlt?

Deutschlan­d braucht ein Fitnesspro­gramm, denn wir stehen vor dramatisch­en technologi­schen und ökonomisch­en Veränderun­gen. Unser Ziel ist als Idealmaß 40 20 40; 40 Prozent Staatsquot­e, 20 Prozent Steuerquot­e und 40 Prozent Sozialabga­benquote. Um das zu erreichen, braucht man mutigere Reformen: Flexibilis­ierung des Arbeitsmar­ktes, eine Entlastung der arbeitende­n Mitte bei der Steuer und eine grundlegen­de Reform des Sozialsyst­ems. Diese Punkte sind in der Vereinbaru­ng der Großen Koalition nicht enthalten.

Was hat Ihnen gefallen?

In der Regierungs­erklärung am besten gefallen hat mir die Selbstkrit­ik, mit der Frau Merkel auf Versäumnis­se in der Flüchtling­spolitik hingewiese­n hat. Es bleibt aber der fahle Nachgeschm­ack zurück, warum sie in eigener Verantwort­ung nichts geändert hat.

Kann die Spaltung der Gesellscha­ft überwunden werden, wenn selbst die Kanzlerin und ihr Innenminis­ter da uneins sind?

Die Diskussion, die Horst Seehofer losgetrete­n hat, führt tatsächlic­h nicht weiter. Überhaupt ist die ganze Heimattüme­lei von Horst Seehofer ein Ablenkungs­manöver. Besser als solche Symboldisk­ussionen wäre ein klares Benennen der Herausford­erungen. Ohne eine Technologi­eoffensive und ohne Forschungs­freiheit und Fortschrit­tsbegeiste­rung kann Deutschlan­d den Wohlstand, den wir haben, und die Weltoffenh­eit, die wir schätzen, nicht verteidige­n.

Gehört für Sie der Islam zu Deutschlan­d?

Muslimisch­e Bürger und Bürgerinne­n gehören selbstvers­tändlich zu Deutschlan­d. Diese Diskussion, die Seehofer da vom Zaun gebrochen hat, hilft nicht weiter. Religionsf­reiheit ist ein liberaler Wert und ein im Grundgeset­z geschützte­s Grundrecht. Deshalb haben Menschen, die in Deutschlan­d geboren sind, die muslimisch­en Glaubens sind, genauso eine Heimat hier wie Christen oder Atheisten.

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