Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Warum 343 Millionen Euro Kindergeld ins Ausland gehen

- Von Benjamin Moscovici

Rund 343 Millionen Euro Kindergeld wurden im vergangene­n Jahr an Konten im Ausland überwiesen. Das geht aus neuen Zahlen der Bundesagen­tur für Arbeit hervor. Demnach haben sich die Überweisun­gen auf ausländisc­he Konten seit 2010 fast verzehnfac­ht. Im Dezember 2010 wurde der Bundesagen­tur für Arbeit zufolge für 61 615 ausländisc­he Kinder, die nicht in Deutschlan­d leben, Kindergeld gezahlt. Im Dezember 2017 waren es bereits 215 499 Kinder. Die meisten lebten in Polen (103 000), Kroatien (17 000) und Rumänien (17 000). Außerdem erhielten knapp 34 000 im Ausland lebende deutsche Kinder die Leistungen. Trotz des langfristi­gen Anstiegs sind die Zahlen im letzten Jahr zum ersten Mal seit 2010 wieder rückläufig gewesen.

Alice Weidel von der AfD kritisiert­e, dass „Arbeitnehm­er, deren Kinder im billigeren Ausland leben, wegen der dort niedrigen Lebenshalt­ungskosten de facto viel mehr als Inländer erhalten“. Marcus Weinberg, familienpo­litischer Sprecher der Unionsfrak­tion im Bundestag, erwiderte, dass Deutschlan­d die gesetzlich­en Änderungen im deutschen Recht nur dann vornehmen könne, wenn die europäisch­en Vorschrift­en entspreche­nd angepasst werden.

EU-Bürger, die in Deutschlan­d Steuern zahlen, haben nach geltendem Recht für die Dauer ihres Arbeitsauf­enthalts in Deutschlan­d einen Anspruch auf Kindergeld – auch wenn der Nachwuchs in einem anderen Land lebt. Auch deutsche Kinder, die im EU-Ausland leben, haben solche Ansprüche.

2012 hatte der Europäisch­e Gerichtsho­f in Luxemburg dem polnischen Saisonarbe­iter Waldemar Hudzinski rechtgegeb­en, der für drei Monate in Deutschlan­d gearbeitet und hier Kindergeld für seine in Polen lebenden Kinder beantragt hatte. Seit dem „Hudzinski-Urteil“gilt dieses Recht.

Widerstand aus Brüssel

Dennoch versucht die Bundesregi­erung schon länger, die Überweisun­gen ins Ausland zu reduzieren. Im vergangene­n Jahr hatte der damalige Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble (CDU) eine Reform vorgeschla­gen, die Kindergeld­zahlungen an den Bedarf im Aufenthalt­sland der Kinder anzupassen. Der Vorstoß des CDUPolitik­ers scheiterte allerdings am Widerstand der EU-Kommission in Brüssel. Eine entspreche­nde Reform wäre „nicht nur angemessen, sondern auch gerecht“, ist CDU-Familienpo­litiker Weinberg überzeugt. „Fehlanreiz­e würden vermieden, den Lebensmitt­elpunkt wegen der Höhe der Sozialleis­tungen in einen anderen Mitgliedst­aat zu verlegen.“Da bleiben wir dran und werden eine Anpassung im europäisch­en Recht mit Nachdruck verfolgen.“Zur Wahrheit gehöre aber auch, dass die Kindergeld­höhe dann niedriger, aber durchaus auch mal höher liegen könnte, so der CDU-Politiker.

Sabine Zimmermann (Linke), Vorsitzend­e im Familienau­sschuss des Bundestage­s, hingegen beharrt auf einer Beibehaltu­ng der derzeitige­n Rechtslage. Grundsätzl­ich müsse gleiches Recht für alle Arbeitnehm­erinnen und Arbeitnehm­er in Deutschlan­d gelten, gleich ob mit oder ohne deutsche Staatsbürg­erschaft, meinte die Linke-Politikeri­n. Ausländisc­he Arbeitnehm­er würden schließlic­h die gleichen Steuern und Sozialvers­icherungsb­eiträge zahlen.

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