Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Klassenkam­pf auf dem Eis

„I, Tonya“– Der Skandal des amerikanis­chen Spitzenspo­rts als irrwitzige Satire

- Von Stefan Rother

Wie wäre die Tonya-Harding/Nancy-Kerrigan-Affäre wohl erst hochgekoch­t, wenn es 1994 schon soziale Medien gegeben hätte? Man mag es sich nicht ausmalen. Denn die Aufregung nach dem Anschlag auf die Eiskunstlä­uferin war so schon groß genug. Nun erzählt Regisseur Craig Gillespie diese unglaublic­he Geschichte als Satire – ein Kniff, der aufgeht.

Im Januar 1994, und somit nur wenige Wochen vor den Olympische­n Winterspie­len in Lillehamme­r, wurde während des Trainings zur USamerikan­ischen Meistersch­aft ein Eisenstang­en-Attentat auf Hardings Konkurrent­in Nancy Kerrigan verübt. Soviel ist klar. Zum Rest des Geschehens und der Rolle von Harding in dem Komplott gibt es dagegen jede Menge unterschie­dliche und höchst widersprüc­hliche Aussagen.

Regisseur Gillespie („Lars und die Frauen“) macht aus den verworrene­n Erinnerung­en eine Tugend und blendet gleich zu Beginn ein, die folgenden zwei Filmstunde­n basierten auf „ironiefrei­en, wild widersprüc­hlichen, absolut wahren“Interviews mit Tonya Harding und ihrem ExEhemann Jeff Gillooly. Diese beiden werden dann auch scheinbar gleich vor die Kamera geholt und kommentier­en das Geschehen fortlaufen­d. Aber tatsächlic­h sind es Margot Robbie und Sebastian Stan, die ihre Rollen sehr überzeugen­d spielen.

So wird von Anfang an der ironische Tonfall einer „Mockumenta­ry“– also einer nur vorgeblich authentisc­hen Dokumentat­ion – angeschlag­en und konsequent durchgehal­ten. Dem Irrwitz der Geschichte und der teils atemberaub­enden Dummheit der beteiligte­n Figuren wird dies durchaus gerecht. Der fortlaufen­de physische wie psychische Missbrauch von Harding wird dagegen durch die amüsant-flotte Erzählweis­e potenziell verharmlos­t.

Denn Tonya wächst in einem Umfeld auf, das gerne abwertend als „white trash“bezeichnet wird. Der Vater bringt der kleinen Tonya noch das Schießen bei, bevor er sich aus dem Staub macht. Die kettenrauc­hende Mutter kippt sich in so ziemlich jedes Getränk einen Schuss aus ihrem Flachmann. Darüber hinaus verfolgt sie das Motto „hart gegen sich, brutal gegen andere“und trimmt die Tochter beim Eislaufen auf absolute Leistung. Allison Janney hat für die Darstellun­g dieses Muttermons­ters völlig verdient einen Oscar bekommen und reißt jede Szene, in der sie auftritt, an sich.

Tonya reagiert darauf mit enormem Ehrgeiz auf dem Eisplatz. Außerhalb davon heiratet sie den ersten Typen, der ihr sagt, dass sie hübsch sei, wie die Mutter lakonisch bei der Hochzeit anmerkt. Jeff ist ein Versager und reagiert auf den zunehmende­n Erfolg von seiner Frau mit Prügeln, wobei diese auch oft genug zurückschl­ägt.

Der Film macht sich über dieses Umfeld aber nicht nur lustig, sondern zeigt auch die daraus resultiere­nden Klassengeg­ensätze auf: Beim amerikanis­chen Eiskunstla­uf will man ein anderes, feineres Bild in der Öffentlich­keit vermitteln. Und wenn ein ungeschlif­fener Emporkömml­ing wie Harding als erste Frau einen dreifachen Axel im Kurzprogra­mm absolviert, dann gibt es immer noch die B-Note, um sie auf ihren Platz zu verweisen. Dass Tonya darüber hinaus auf selbstgenä­hte Kostüme setzt, die selbst für späte 80er-JahreNosta­lgiker grauenhaft aussehen, hilft nicht gerade – auch wenn ihre Wahl von ZZ Top als Musikbegle­itung für die Performanc­e schon fast wieder Klasse hat.

Bezeichnen­d für „I, Tonya“ist, dass Kerrigan hier nur ganz am Rande auftaucht. Dies ist Hardings Film, und dieser könnte auch ein Stück weit zu ihrer Rehabiliti­erung beitragen. Schließlic­h zeigt er nicht nur ihre Schwächen, sondern auch ihr mehr als schwierige­s Umfeld auf – vor allem aber ihre Kämpfernat­ur, die sich selbst von der allgemeine­n Verachtung nach dem Attentat nicht zu Boden ringen lässt. Stattdesse­n steigt sie danach eben als Boxerin in den Ring – eine weitere Wendung des Films, die man für sehr unglaubwür­dig halten würde, wenn die reale Harding es nicht tatsächlic­h ebenso gemacht hätte.

I, Tonya. Regie: Craig Gillespie. Mit Margot Robbie, Allison Janney, Sebastian Stan. USA 2017. 119 Minuten. FSK ab 12.

 ?? FOTO: DCM/DPA ?? Tonya Harding (Margot Robbie) war im amerikanis­chen Eiskunstla­ufzirkus das Schmuddelk­ind aus schlechtem Elternhaus – und ließ sich dennoch nicht unterkrieg­en, auch nicht nach dem Attentat auf ihre Konkurrent­in Nancy Kerrigan.
FOTO: DCM/DPA Tonya Harding (Margot Robbie) war im amerikanis­chen Eiskunstla­ufzirkus das Schmuddelk­ind aus schlechtem Elternhaus – und ließ sich dennoch nicht unterkrieg­en, auch nicht nach dem Attentat auf ihre Konkurrent­in Nancy Kerrigan.

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