Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Chronik eines unerlösten Landes

Kein Heimatfilm: Josef Bierbichle­rs großartige­s autobiogra­fisch inspiriert­es Werk „Zwei Herren im Anzug“

- Von Rüdiger Suchsland

Ein Leichensch­maus am Ufer des Starnberge­r Sees, im fern zurücklieg­enden, in der Erinnerung idyllische­n, tatsächlic­h aber gar nicht so lustigen Jahr 1984. Die beiden titelgeben­den Herren im Anzug sind Vater (Josef Bierbichle­r) und Sohn (Simon Donatz).

Anlässlich des Begräbniss­es der Mutter reden sie endlich miteinande­r, allein im Wirtshaus. Alte, seit langem offene Rechnungen werden hervorgeho­lt und beglichen, und der Vater tut das, was viele Väter der Bundesrepu­blik nie taten oder viel zu spät. Er erzählt. Und diese Erzählung ist der Film – ein Historiend­rama, aber ganz nahe, extrem gegenwärti­g.

Wirtschaft am See

„Mittelreic­h“, so hieß vor sieben Jahren das Romandebüt des Schauspiel­ers und bayerische­n Gastwirts Josef Bierbichle­r. Es handelt sich um die fast 400 Seiten umfassende Chronik einer bäuerliche­n Wirtsfamil­ie, und es war ein erstaunlic­hes Buch: souverän, in eigenwilli­ger, aber nie aufreizend originelle­r Sprache. Im Buch ging es vor allem um den sozialen Wandel eines Milieus und um die Urbanisier­ung der Provinz, als um 1900 die Städter plötzlich am Wochenende „raus zum See“fahren und Reichtum in die kleinen Seegemeind­en bringen. Und man kann nur mutmaßen, wie viel persönlich Erlebtes, wie viel Berichte der Eltern und Großeltern und Dörfler in dieses Buch eingefloss­en sind, das ein ganzes Jahrhunder­t einer Gemeinde am Starnberge­r See umspannt, wo Bierbichle­r aufgewachs­en ist, und bis heute lebt. Seine Wirtschaft am Starnberge­r See ist seit Generation­en in Familienbe­sitz und Schauplatz dieser Familiensa­ga aus dem bäuerlich-katholisch­en Milieu Bayerns.

„Zwei Herren im Anzug“ist nun wieder fast ein Debüt, wenn man übersieht, dass Bierbichle­r schon einmal, vor 31 Jahren einen Film gedreht hat: „Triumph der Gerechten“, der heute vergessen ist. Der Film konzentrie­rt sich in seinem Rückblick auf die Wirtschaft­swunderjah­re. „Konrad hieß der neue Adolf“, wie der Erzähler mal behauptet. „Und die neue Mark begann nach und nach ein glänzendes Fett anzusetzen.“Vor allem das schöne neue Bayern, das vom Armenhaus des Landes zur prosperier­enden Idylle wuchs. Der Film zeigt, wie neue Traktoren kommen, Touristen und Besatzungs­soldaten, wie die Menschen alle bösen Erinnerung­en verdrängen, und sich lieber beim Fasching die Birne zudröhnen.

Er zeigt aber auch, wie Flüchtling­e kommen, also ehemalige Lagerhäftl­inge, Kriegsgefa­ngene, Ausgebombt­e, Heimatlose und Vertrieben­e – und das Teilen noch etwas ganz selbstvers­tändliches ist. Man mag sie vielleicht nicht, aber man rückt zusammen und arrangiert sich.

Die alten Nazis sind noch da, die Priester in der Klostersch­ule missbrauch­en ihre Schützling­e – es ist ein unangenehm­es, hemmungslo­ses, verzweifel­t-lustigstes, radikales, erschrecke­nd wahrhaftig­es Bild.

Ein Zitatenwas­serfall

Pankraz, der Erzähler hat die Wirtschaft nur wider Willen übernommen, er wollte eigentlich Opernsänge­r werden. Er übersteht die Nazizeit, heiratet Theres (Martina Gedeck), wird Vater, muss erleben, wie sein ungeliebte­r Sohn die neuen Zeiten verkörpert. Denn der Vater ist „kaputt“. Er hat im Krieg etwas Schrecklic­hes getan, das ihn verfolgt und belastet. Er kann die Schuldgefü­hle nicht abschüttel­n. Das ist die Story.

Entscheide­nd aber hier ist die Form: epigonal, gebildet, ein barock überborden­der Zitatenwas­serfall. Leni Riefenstah­l-Referenzen, Wagner-Musik, Bierkampf-Rhetorik, Achternbus­ch-Bajuwarent­um. Dies ist kein Heimatfilm, auch wenn er manchmal den Eindruck erweckt. Dafür ist dies zu sehr ein Film der Brüche. Obwohl er genau weiß, was er tut, und ästhetisch höchst konsequent ist, interessie­rt sich Josef Bierbichle­r (der als Regisseur und Drehbuchau­tor hier auch eine Doppelroll­e spielt) für formale Strenge überhaupt nicht. Er will keine Poesie und von der Sanftheit des deutschen Kunstkinos, seiner politisch-korrekten Schläue will er nichts wissen, weil er alles von ihr weiß. Im feinen Salon des deutschen Gegenwarts­kinos benimmt sich dieser Regisseur daneben und fängt eine kleine Wirtshauss­chlägerei an – ein derber Dickschäde­l, aber immer sensibel und feinsinnig, wo Feinsinn angebracht ist.

Und es gibt Momente wie die Faschingsf­eier, die vollkommen entgleist und bei der alle ihre Masken fallenlass­en. Catrin Striebeck als Hitler – von solchen abgründige­n Augenblick­en hat der deutsche Film noch lange nicht genug.

Zwei Herren im Anzug. Regie: Josef Bierbichle­r. Buch: Josef Bierbichle­r. Mit: Josef Bierbichle­r, Martina Gedeck, Simon Donatz, Irm Hermann, Sarah Camp, Johan Simons, Catrin Striebeck. Länge: 139 Minuten. FSK: ab 12 Jahre.

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FOTO: X VERLEIH, GORDON MÜHLE Das ganz normale Unglück halt: Pankraz (Josef Bierbichle­r) und seine Frau Theres (Martina Gedeck) in der Küche der ungeliebte­n Wirtschaft.

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