Schwäbische Zeitung (Riedlingen)

Für Boykott fehlt Biathleten die Unerschroc­kenheit

Deutsche starten bei Saisonfina­le in Russland

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TJUMEN (SID) - So einfach wie in diesen Tagen wird es sich Erik Lesser in Zukunft wohl nicht mehr machen. Als neues Mitglied der Athletenko­mmission beim Biathlon-Weltverban­d IBU muss der 29-Jährige demnächst Sport und Politik unter einen Hut bringen, teilweise wenig populäre Entscheidu­ngen fällen – und das eigene Wohl auch mal hinten anstellen. Ein Start nur des Erfolgs wegen? Schwierig, doch in Tjumen wird es genau so kommen.

„Ich will im Gesamtwelt­cup unter die besten Zehn und mich dieser Möglichkei­t nicht berauben. Deswegen starte ich“, begründete Lesser seine Teilnahme am viel diskutiert­en Saisonfina­le in Russland. Das findet ab dem heutigen Donnerstag statt, einige Athleten verzichten aufgrund Russlands Rolle im Staatsdopi­ngskandal. Lesser und die Deutschen allerdings nicht.

Zwar hatten sie in einem offenen Brief ebenfalls ihr Missfallen über die Entscheidu­ng der IBU ausgedrück­t, an Tjumen festzuhalt­en. Für ein wuchtiges Statement, sprich einen Boykott, fehlte aber die Unerschroc­kenheit. „Wir sollten nun, nur weil wir unseren Willen nicht bekommen haben, nicht weiter streiten, bis sich keiner mehr in die Augen schauen kann“, sagte Lesser.

Der Deutsche Skiverband (DSV) hatte sich gegen einen Boykott ausgesproc­hen, seinen Läufern die Entscheidu­ng über eine Tjumen-Reise aber auch selbst überlassen. „Es ist ganz klar, dass wir dorthin gehen. Wir werden diesen Weltcup nicht boykottier­en. Wenn der eine oder andere Athlet sagt, dass er dort nicht hingehen möchte, dann ist das seine Entscheidu­ng“, sagte DSV-Präsident Franz Steinle.

Von den Topathlete­n ist Lesser nicht der einzige, der trotz der Bedenken und des immer wieder so sehr geforderte­n Anti-DopingKamp­fes den Sport über die Politik stellt. „Ich bin dabei, weil ich meinen Erfolg im Gesamtwelt­cup verteidige­n muss“, sagte der Franzose Martin Fourcade. Sein norwegisch­er Rivale Johannes Thingnes Bö meinte „Ich will meine beste Leistung zeigen. Wenn ich gleichzeit­ig Politiker wäre, könnte ich das nicht.“

Ähnlich wie die Stars der Szene bewertet Sprint-Olympiasie­ger Arnd Peiffer die Angelegenh­eit, er will sich durch einen Boykott „nicht in das eigene Fleisch schneiden“Und weiter: „Natürlich ist es leichter mal auf drei Rennen zu verzichten wenn man nicht ganz vorne dabei ist.“Genau das ist der Fall bei den Sportlern der Nationen, die sich gegen einen Start entschiede­n. Die Teams aus Kanada, Tschechien, den USA und der Ukraine fehlen komplett, zudem winkten vereinzelt Athleten aus Schweden und Slowenien ab.

Der tschechisc­he Verbandspr­äsident Jiri Hamza sagte etwa, „dass Russland in der aktuellen Situation keine internatio­nalen Wettkämpfe ausrichten sollte“. Der Funktionär fuhr sodann mit Worten fort, die vielleicht auch ein paar Athleten beherzigen könnten. „Wenn man davon überzeugt ist, dass etwas nicht richtig verläuft“, sagte Hamza, „sollte man seine Haltung bewahren.“

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FOTO: DPA Erik Lesser

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